Stadtkämmerer Sven Wiertz Bund soll Stadt bei Altschulden helfen

Remscheid · Ein Sonderfonds der Bundesregierung könnte die Stadt Remscheid vor dem Risiko einer Zinswende bewahren.

 Sven Wiertz muss in Remscheid mit der Last von 605 Millionen Euro Schulden leben und hofft darauf, dass ein Sonderfond des Bundes diese Schulden übernimmt, um das Zinsrisiko einzugrenzen.

Sven Wiertz muss in Remscheid mit der Last von 605 Millionen Euro Schulden leben und hofft darauf, dass ein Sonderfond des Bundes diese Schulden übernimmt, um das Zinsrisiko einzugrenzen.

Foto: Jürgen Moll

Herr Wiertz, die Stadt hat 2016 die Kehrtwende eingeleitet. Erstmals seit 25 Jahren wurden keine neuen Schulden angehäuft, sondern sogar 18 Millionen Euro Schulden abgebaut. Geht das jetzt so weiter?

Sven Wiertz Wenn wir Augenmaß behalten und diesen Kurs weitergehen, dann ist es möglich, dass das so weitergeht. Das hängt natürlich von Rahmenbedingungen ab. Dazu zählt eine positive Entwicklung der Wirtschaft und der Steuerkraft. Eine wachsende Bedeutung hat die Einkommensteuer. Man darf nicht vergessen, von jedem Euro Einkommenssteuer, die jemand zahlt, der in Remscheid lebt, gehen 15 Cent an die Gemeinde. Dieser Beitrag ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen.

Liegt das daran, dass die Menschen mehr Geld verdienen oder dass mehr Menschen Arbeit haben?

Wiertz Es ist eine Mischung aus beidem. Die Zahl der Erwerbslosen ist zurückgegangen, das merken wir auch daran, dass wir weniger Leistungen erbringen. Auf der anderen Seite ist das Lohnniveau in Remscheid höher als in vergleichbaren Städten.

Hat die Stadt Einfluss darauf?

Wiertz Wir müssen schauen, wie wir die Menschen in unserer Stadt halten, etwa mit attraktivem Wohnraum. Es ist eine Herausforderung für die kommenden Jahre, dass wir diesen guten Mix, den wir haben, für die kommenden Jahre beibehalten.

Auch, indem die Stadt Jobs schafft?

Wiertz Das auch, beispielsweise, indem Gewerbeflächen entwickelt werden. Aber Remscheid ist in der Situation, dass wir traditionell einen Einpendler-Überschuss haben, trotz des Verlustes an Industriearbeitsplätzen. Darum ist das Thema Wohnen eines, das wir aufgreifen.

Heißt: Die Menschen pendeln nicht mehr zur Arbeit, wenn sie hier attraktiv wohnen können?

Wiertz Ich glaube, dass man hier attraktiv wohnen kann, wenn man die Angebote dafür hat. Deshalb ist es sehr gut, dass wir die Entwicklung auf dem Krankenhausgelände in Hackenberg haben. Das kann nur der Anfang sein. Wir haben noch die Flächen am Eisernstein. Das ist mit Blick auf den Haushalt auch ein Stück Zukunftssicherheit. Ich freue mich über jeden Neubürger.

Die Schuldenlast liegt aktuell bei 605 Millionen Euro. Der Weg ist also noch weit. Schafft Remscheid das aus eigener Kraft?

Wiertz Unterstellt man, alles würde so laufen wie bisher, würden wir dafür 30 Jahre brauchen. Dafür dürfte sich aber die Zinssituation nicht ändern. Zu glauben, dass wir in dem Niedrigzinsniveau, dass wir haben, dauerhaft verharren, ist illusorisch. Deshalb ist es wichtig, dass wir Unterstützung vom Bund erhalten. Das Land hat ja Unterstützung gegeben. Der Bund ist stärker in der Verantwortung, er könnte mit einer Altschuldenregelung helfen. Remscheid und die anderen Kommunen, die in der Altschuldenfalle stecken, würden so eine Lösungsperspektive erhalten.

Wie könnte so eine Lösung aussehen?

Wiertz Es gibt verschiedene Ideen. Es betrifft ja die Bundesländer Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, NRW, Niedersachsen und mittlerweile auch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Wir reden insgesamt über einen Betrag von 50 Milliarden Euro. Eine Möglichkeit wäre, dass ein Sonderfond des Bundes diese Schulden übernimmt. Das bedeutet nicht, dass wir die Schulden nicht tilgen wollen. Aber das Risiko einer Zinsänderung wäre minimiert. Der Bund bekommt Gelder ja noch günstiger als Kommunen und Länder.

Es geht also vor allem um Planungs-Sicherheit?

Wiertz Das Zinsrisiko wäre dann weg. Wir haben zwar inzwischen einige unserer Kredite auf lange Laufzeiten umgestellt, wir sind aber verpflichtet, einen Großteil unserer Kredite kurzfristig zu halten. Da unterliegen wir einem Risiko. Zwar haben wir aktuell das Phänomen eines Negativzinses, aber wenn eine Zinswende einsetzt, haut das sofort auf den Haushalt durch.

Nennen sie mal Zahlen, was gibt die Stadt für Schuldentilgung aus?

Wiertz Aktuell sind wir auf einem historischen Niedrigstand. Zur Zeit zahlen wir für einen Schuldenstand von 600 Millionen Euro 7,4 Millionen Euro Zinsen. Wir haben Zeiten gehabt, da haben wir 12 Millionen Euro für einen deutlich geringeren Betrag gezahlt. Ganz konkret: Für die 150 Millionen Euro an Schulden, die wir kurzfristig finanzieren, bedeutet jeder Zehntel-Prozentpunkt zusätzliche 150.000 Euro Zinsen. Das ist viel Geld. Das sind drei Stellen in städtischen Einrichtungen, das ist die Hälfte des Zuschusses für das Freibad Eschbachtal.

Der Bund hat 2016 enorme Überschüsse eingefahren. Könnte Berlin den Städten nicht einen Teil ihrer Schulden komplett abnehmen, damit der Berg, den wir abtragen müssen, kleiner wird?

Wiertz Das ist denkbar, wenn der Bund dazu bereit wäre. Ich hätte nichts dagegen.

Remscheid gehört zum Aktionsbündnis "Für die Würde unserer Städte". Wäre das Jahr der Bundestagswahl nicht ein guter Zeitpunkt, dieses Thema anzusprechen und in die Diskussion zu bringen ? Die Ungleichheit der Städte ist ja nicht von der Hand zu weisen.

Wiertz Die Ungleichheit ist vorhanden, andere Städte, die ja auch von den positiven Entwicklungen partizipieren, haben mehr Spielräume. Wir werben innerhalb der kommunalen Familie für unsere Position, aber es gibt eben auch Städte, die unsere Probleme nicht kennen. Grundsätzlich hat das Aktionsbündnis aber schon etwas erreicht. Den Stärkungspakt in NRW zähle ich dazu. Jetzt kommt es darauf an, dass wir in Berlin für eine Altschulden-Lösung werben. Wir sind mittlerweile im Bündnis 80 Kommunen mit insgesamt neun Millionen Einwohnern.

Wie genau werben sie?

Wiertz Alle Kämmerer sind ja auch Mitglied einer Partei. Wir haben uns verpflichtet, dafür zu sorgen, dass dieses Thema in die Programme unserer Parteien Eingang findet und von den jeweiligen Spitzenleuten dann auch nach außen vertreten wird. Das macht Herr Slawig etwa auch in der CDU, oder der Bochumer Kollege, der den Grünen nahesteht. Wir stimmen uns da intensiv ab.

Die SPD hat jetzt einen Kanzlerkandidaten. Wie steht Martin Schulz zur Entlastung der Kommunen ?

Wiertz Ich kann es mir da ziemlich einfach machen. Egal, wer Kanzlerkandidat ist: Es gilt die Beschlusslage der Parteitage. Das Thema Altschuldenfonds ist im SPD-Parteiprogramm aufgenommen. Die CDU arbeitet in ähnlicher Form daran. Mittlerweile steht das Thema bei allen Parteien in Berlin auf der Agenda.

Was können die Städte noch tun, damit das Thema im Wahlkampf eine Rolle spielt?

Wiertz Wir haben keinen ständigen Repräsentanten in Berlin, der - wie bei Lobbyverbänden üblich - dafür sorgt, dass das Thema Altschulden dort täglich zur Sprache kommt. Darum ist der Tod von Peter Michael Hintze sehr bedauerlich und traurig. Er hat uns bei diesem Thema intensiv unterstützt und Türen geöffnet. Wir machen in diesem Sinne weiter.

HENNING RÖSER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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