Ansichtssache Derby-Absage - die Ohnmacht vor der Gewalt

Remscheid · Aus Angst vor Randale und mangels eines für diesen Anlass tauglichen Stadions, ist das siebtklassige Fußball-Derby zwischen Union Solingen und dem FC Remscheid ersatzlos gestrichen worden. Ein bergisches Trauerspiel.

Das Nachbarschaftsderby der Fußball-Bezirksliga zwischen Union Solingen und dem FC Remscheid wird also ersatzlos gestrichen, weil die Gastgeber Angst vor Randale haben. So weit ist es also in der Siebtklassigkeit gekommen. Das Wort "Hochrisikospiel" war unsereins bisher nur aus anderen Sphären bekannt. Die Punkte wandern kampflos zum FC Remscheid, weil einige wenige Menschen ihren Zeitvertreib darin sehen, anderen etwas auf die Mütze geben zu wollen. Ob Fan der Gegenseite, Ordner oder Polizist - egal. Hauptsache es knallt ordentlich.

Diese merkwürdige Form der Freizeitgestaltung scheinen Vereine und Städte nur verhindern zu können, indem sie aufrüsten: mit Polizei-Hundertschaften, Reiter- und Hundestaffeln, zusätzlichen privaten Sicherheitskräften. Denn Spielerväter der eigenen Junioren wollen schon längst nicht mehr Gefahr laufen, mit der Ordnerbinde am Arm verdroschen zu werden.

Abgesehen vom Personal, ist die Sorge um die Sicherheit im Stadion auch ein enormer Kostenfaktor für die Klubs, die ja nicht in der Bezirksliga kicken, weil sie im Geld baden. Denn zum professionellen Sicherheitsdienst kommen bei strikt voneinander zu trennenden Fangruppierungen auch noch vergleichsweise banale Kosten, wie zusätzlich aufzustellende Toiletten, getrennte Verzehrstände (die dann - wie im Hinspiel in Remscheid - auch schon mal als Selbstbedienungstheken missbraucht und schließlich zu Kleinholz verarbeitet werden) oder der Transport der Gewaltbereiten durch die Stadt mit öffentlichen Verkehrsmittel (damit nicht schon unterwegs das pure Chaos ausbricht).

Was für ein irrsinniger Aufwand für 90 Minuten Amateurfußball hart an der Oberkante des Hobby-Kicks.

Dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten, scheint kaum möglich. Das liegt zum einen an der Hardware. Welche Stadt leistet sich noch ein echtes Stadion, in den Fangruppen sauber getrennt werden können? Remscheid hat so eine Spielstätte noch. Solingen nicht mehr, seit die Arena am Hermann-Löns-Weg zum Biotop wurde. Das wird von vielen kritisiert, aber mal ehrlich: Wer braucht schon den Luxus eines Cabrios, wenn es an 360 Tagen im Jahr regnet?

Und dann sind da ja auch noch die Unbelehrbaren selber, die ihrem seltsamen Hobby frönen und entgegen landläufiger Meinungen längst nicht ausschließlich aus hirnloser Masse bestehen. Deren clevere Vordenker haben längst die unteren Ligen zum Ausleben ihrer Gewalt-Fantasien entdeckt. Und die beschränken sich nicht alleine auf Kloppereien.

Das ganze Prozedere vorher und nachher gehört zum merkwürdigen All-inclusive-Paket dazu. Die verbalen und inszenierten Provokationen, die Arbeit im Hobbykeller (wie vor dem Hinspiel der Union in Remscheid, als Unbekannte aus Styropor Grabsteine bastelten und sie auf dem Rasen vor dem FCR-Fanblock platzierten), das Malen von Spruchbändern, die die Stimmung zusätzlich aufheizen.

Und gerne lädt sich die Szene bei wichtigen Anlässen auch "Gäste" von außerhalb ein oder reaktiviert Ehemalige. Klopper-Tourismus, sozusagen.

Das Problem mit den Stadien ist ebenso wenig zu entschärfen, wie die seltsame Gedankenwelt der Gewalt-Junkies. Weder mit Zuschauerausschluss, wie es Union-Kapitän Carlo Farella vorgeschlagen hat, noch mit Ausweichen in anderen Stadien oder mit horrenden Investitionen.

Wasser sucht sich immer seinen Weg. Gewalt auch. Dafür gibt es keine Lösungen. Leider. HENNING SCHLÜTER

(RP)
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