Schwebebahn in Wuppertal Des Kaisers alter Wagen

Remscheid · Sie sind die Herren der letzten historischen Schwebebahn in Wuppertal: die Fahrer des Kaiserwagens. Rainer Dobler steht trotz Rente weiter am Steuer.

Es gibt wohl nur wenige Menschen, die ihre Kindheitsträume verwirklicht haben, die Astronaut oder Filmstar, Fußballer oder Feuerwehrmann geworden sind. Rainer Dobler ist einer dieser glücklichen Menschen, der heute den Beruf ausübt, von dem er schon in der dritten Klasse geträumt hat: Er fährt den Kaiserwagen.

Es ist der einzige historische Wagen aus dem Jahr 1901, der noch von der Flotte der alten Wuppertaler Schwebebahnen übrig geblieben ist. Aber er fährt noch, mit Rainer Dobler am Steuer. Der 64-Jährige steht mit beiden Beinen fest auf dem Holzboden, das Steuer sicher in beiden Händen.

Jede Haltestelle, jede Kurve und jedes Signal auf der Strecke von Vohwinkel bis nach Oberbarmen kennt Dobler auswendig. Doch der Kaiserwagen ruckelt eben, wenn er quietschend die Schienen entlanggleitet. Heute ist das Ruckeln egal, denn Rainer Dobler ist für einen Tag wieder Fahrschüler. Regelmäßig müssen die Fahrer ihre Kenntnisse auffrischen, wenn sie sechs Wochen nicht den alten Wagen gefahren sind. Heute kann Rainer Dobler noch Fehler machen und nach Belieben beschleunigen.

Das geht aber nicht, wenn er Fahrgäste bei Kaffee und Kuchen eine Stunde lang über die Wupper kutschiert. Oder wenn ein Paar im Kaiserwagen heiratet, die gefüllten Sektgläser und eine mehrstöckige Hochzeitstorte bereit stehen. Dann kann das Ruckeln gefährlich werden und der Torte den Garaus machen. "Hatten wir schon alles", sagt Dobler. "Aber zum Glück noch nicht, als ich am Steuer war."

Zwei Tage dauert die Ausbildung zum Kaiserwagen-Fahrer - vorausgesetzt man ist, wie Rainer Dobler, schon vorher Schwebebahnfahrer gewesen. Er hat die übliche Karriere durchlaufen: Ausbildung zur Fachkraft im Fahrbetrieb, Busfahrer in Wuppertal, dann Straßenbahn, Schwebebahn und zuletzt Verkehrsmeister im Leitstand. Die Fahrten im Kaiserwagen kommen hinzu: zu Hochzeiten, Geburtstagen oder Fahrten vom Stadtmarketing.

Dabei steht er nie alleine am Steuer, immer zwei Fahrer müssen den Kaiserwagen bedienen. Denn der alte Zug hat keinen Totmannschalter, der überprüft, ob der Fahrer anwesend ist oder ob es ihm gut geht. Also muss ein zweiter Fahrer diese Aufgabe übernehmen. Heute ist das Andreas Haus, Fahrlehrer der Schwebebahn. Er hat im Blick, wie Dobler das Steuer bewegt, wie er an den Haltestellen bremst und er moniert, wenn der Fahrer den alten Motor überanstrengt. Und Andreas Haus hält Kontakt zum Leitstand: "Wir sind ausgefahren mit der 522", sagt Haus in das Mikrofon. "Alles klar, gute Reise", kommt es knarzend zurück.

Eine der ersten Reisen mit der Schwebebahn machte der damals höchste Mann des Landes. Noch vor Beginn des offiziellen Fahrbetriebs im Jahr 1901 durfte Kaiser Wilhelm II. mit seiner Gattin Auguste Viktoria und ihrem Gefolge eine Runde in der damals neuen Schwebebahn drehen. Seinen Namen trägt der Kaiserwagen also nicht umsonst.

Dass der Wagen schon mehr als 100 Jahre auf dem Buckel hat, merken vor allem die Fahrer. Eine Besonderheit beim Fahren ist das Anhalten. "Der Wagen bremst mit Luft und nicht elektrisch wie die moderneren Schwebebahnen", erklärt Andreas Haus. Ein Barometer an der Frontscheibe zeigt den Bremsdruck an. Sobald Rainer Dobler vor einer Haltestelle in die Eisen geht, steigt die Nadel auf zwei bis drei Bar. Jedes Mal lässt er dann über einen Schalter die Luft zischend entweichen, damit die Nadel wieder auf Null sinkt.

Wenn es regnet, könnte der Steuermann noch eine dritte Hand gebrauchen. Denn einen elektrischen Scheibenwischer gibt es nicht - Rainer Dobler muss den Wischer der Frontscheibe mit einem Hebel von Hand bewegen. "Und wenn es richtig doll regnet, muss er auch mal auf die zweite Stufe hochschalten", scherzt Haus.

Es sind diese Besonderheiten, die Rainer Dobler an der alten Schwebebahn faszinieren. Seit einem Jahr ist der 64-Jährige in Rente, den Kaiserwagen fährt er aber immer noch als Nebenjob. "Es macht einfach unglaublich Spaß", sagt er und lächelt wieder wie ein Drittklässler, der davon träumt, einmal den Kaiserwagen zu fahren.

(veke)
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