Ansichtssache Bombennacht Die Erinnerung braucht eine neue Kultur

Remscheid · Ich kenne die Remscheider Bombennacht nur aus den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern. Und von Fotos her. In meinem Kinderzimmer zog sich ein dicker Riss quer durch die Wand. Zwölf englische Brandbomben auf dem Dach meines Elternhauses haben das dicke Mauerwerk verzogen. Keine Tapete konnte die Risse dauerhaft überdecken. Sie drückten sich immer wieder durch. Ohne die Kenntnis und die Geschichten aus der Bombennacht kann man Remscheid in seiner Entwicklung nicht verstehen. Deshalb ist es wichtig, das Ritual der Erinnerung aufrecht zu erhalten.

Das Wort "Christbaum" taucht in vielen Erzählungen über die Bombennacht von 30./31 Juli 1943 immer wieder auf. Eine dieser zynischen Vokabeln des Militärs. Mit Leuchtraketen steckten sogenannte Mosquito-Flieger der Engländer das Ziel ab. Andere Flugzeuge warfen Stanniolfolie, um die Funkmessortungsgeräte der deutschen Flugabwehr zu stören.

Die Remscheider müssen sich vorgekommen sein wie in einer Arena, die plötzlich mit tausend Strahlern erleuchtet wurde. Ein schweres Brummen in der Luft kündigte den Anflug der Bomberflotte der Royal Air Force an. Kurz nach Mitternacht hieß es: Feuer frei. Die Bombardierung dauerte 28 Minuten, zehn Minuten länger als geplant. Insgesamt waren 228 Flugzeuge im Einsatz. 15 wurden abgeschossen.

Es war mehr als ein Angriff auf Industrieanlagen der Bergischen Stahlindustrie (BSI). Es war ein Angriff ohne Rücksicht auf Verluste. Die Bilanz des Luftangriffs: 1063 Tote und über 6000 Schwerverletzte, 40.000 Obdachlose. Die Fotos am Morgen danach zeigen das ungeheuere Ausmaß des Schadens. Bei der Fotografie einer Ruine weiß der Fotograf nicht mehr, was dieser Geröllhaufen gewesen sein könnte. Remscheid war fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Ein totes Meer aus Schutt und Asche.

Vor dem Angriff gab es 14.276 Häuser. 11.401 zerstörte Häuser listet das Stadtbauamt auf. Die meisten völlig kaputt. Ähnlich sah es bei den 34.287 Wohnungen aus, 22.214 waren verwüstet.

Die Zeitzeugen werden immer weniger, aber die Geschichten aus der Zeit des Naziterrors und seiner Folgen vergehen nicht - wenn sie weiter gepflegt werden. Nicht als offene Wunden, sondern als Ausdruck eines verantwortlichen Umgangs mit der Vergangenheit.

Aufgrund der Bedeutung dieser Bombennacht für die Geschichte der Stadt wirkt eine Kranzniederlegung in Reinshagen eher wie eine leergelaufene Pflichtübung. Der Oberbürgermeister lädt zwar immer die Bürger dazu ein, aber außer einer kleinen Gruppe wohnt niemand dem Ritual bei. Nach 74 Jahren Bombennacht-Gedenkveranstaltungen wäre es an der Zeit, sich andere Form des Gedenkens auszudenken. Lebendige Erinnerungskultur ist heutzutage nämlich vielfältig und komplex. Sie zielt über die Vermittlungen des Geschichtsunterrichts, der politischen Bildung, der Gedenkstättenpädagogik, der Medien und des weiten pädagogischen Feldes der Holocaust Education auf eine historisch-moralische Bildung ab. Sie soll zum einen Nationalsozialismus und Holocaust historisch verständlich machen, zum anderen Persönlichkeiten bilden, die sich gegenüber faschistischen und antidemokratischen Entwicklungen widerständig verhalten können.

Das öffentliche Erinnern an die Bombennacht vom 30./31. Juli 1943 erscheint in diesem Zusammenhang nur dann als sinnvoll, wenn das Erinnerte auch Teil des Inneren werden kann. Dass dies mit der Kranzniederlegung am Ehrenhain morgen um 18 Uhr und einem Foto auf Facebook erreicht werden kann, daran mag wohl keiner mehr so recht glauben.

(RP)
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