Martin Dutzmann "Die erste Gemeinde ist wie die erste Liebe"

Remscheid · Der frühere Superintendent fordert mehr Verständnis für Politiker und hat viele gute Erinnerungen an seine Zeit in Lennep.

Wenn es im politischen Berlin oder Brüssel darum geht, die Interessen der Kirche zu vertreten, dann kommt Martin Dutzmann ins Spiel. Heute arbeitet er als Bevollmächtigter des Rates der EKD. 18 Jahre seines Berufslebens verbrachte er erst als Pfarrer, dann als Superintendent im Kirchenkreis Lennep - zur Kreissynode kehrte er zuletzt als Gast zurück. Warum das Rheinland immer noch seine wahre Heimat ist, was er während seiner Zeit in Lennep lernte und wie sein Alltag inmitten von Abgeordneten aussieht, erzählt er im BM-Interview.

Fast 20 Jahre Lennep. Woran erinnern Sie sich, Herr Dutzmann?

Dutzmann Die erste Gemeinde ist wie die erste Liebe, man vergisst sie nie. Ich habe in Lennep meine ersten Erfahrungen als Gemeindepfarrer gesammelt, zwei unserer Kinder sind hier geboren. Das Zurückkommen fühlt sich jetzt wie ein Nachhausekommen an. Damals haben uns der Beginn des Golfkrieges, der 11. September, der Irakkrieg intensiv beschäftigt: Die Menschen haben die Kirche gefüllt, weil sie Angst hatten. Nach dem Beginn des Golfkriegs haben wir jeden Tag zum Friedensgebet eingeladen. Krieg und Frieden waren damals auch für uns als Kirchenkreis ein großes Thema. Kirchlich gesehen, erinnere ich mich auch daran, dass wir uns mit sinkenden Gemeindegliederzahlen auseinandersetzen, uns neu sortieren mussten und einen Leitbildprozess angestoßen haben.

Das war vor mehr als zehn Jahren, klingt aber immer noch sehr aktuell.

Dutzmann Ja, vieles ist aktuell geblieben. Und manche Dinge sind auch noch übrig geblieben und werden weiter Thema sein.

In Zeitungsartikeln der Berliner Redaktionen liest man, dass bei Ihnen zuweilen der Rheinländer als Dialekt mitklinge. Wie viel Rheinländer steckt denn heute noch in Ihnen?

Dutzmann Da müssten sie mal meinen katholischen Kollegen in Berlin hören. Der kommt aus Siegburg und klingt wirklich nach Rheinland. Aber im weitesten Sinne ist das Rheinland auch unsere Heimat geblieben. Und wenn meine Frau und ich Berlin irgendwann verlassen, dann würden wir gerne zurückkommen. Denn ich fühle mich auch als Rheinländer. Ich habe eine große Gelassenheit und eine Grundfröhlichkeit. Die habe ich allerdings vor allem von meiner Mutter.

Was haben Sie auf Ihrem Weg bis in den Bundestag aus Lennep und dem Rheinland denn mitgenommen?

Dutzmann Die Basiserfahrung des Gemeindelebens. Das ist die Grundierung, die mich prägt. Ich könnte diese Arbeit nicht machen, wenn ich nicht auch im Pfarrdienst gewesen wäre. In Lennep habe ich auch gelernt, wie gut es tut, kollegial zu arbeiten. Das ist mir ein Anliegen geblieben: Auch wenn ich Leitungsaufgaben übernehme, ist mir die Zusammenarbeit und die Transparenz wichtig. Und dazu gehört es auch, Konflikte anzusprechen.

Nach einer Station in der Lippischen Landeskirche arbeiten Sie jetzt als Bevollmächtigter der EKD in Berlin. Lobbyist oder Seelsorger?

Dutzmann Als ich in Berlin vorgestellt wurde, bezeichnete man mich auch als Chef-Lobbyist der Evangelischen Kirche. Das hat mir nicht gepasst. Ich verstehe mich als Pastor, Diplomat und Lobbyist. Ja, ich vertrete die Interessen der Kirche. Aber ich bin auch Pastor und Seelsorger für die Mitarbeiter und Abgeordneten im Bundestag und bei der EU. Gemeinsam mit meinem katholischen Kollegen halten wir in den Sitzungswochen donnerstags und freitags Andachten im Bundestag und bei besonderen Gelegenheiten auch Gottesdienste. Wir empfangen Abgeordnete im Haus und ich bin Seelsorger. Als es zum Beispiel um die Abstimmung über die Hilfe beim Suizid ging, hat ein Abgeordneter das Gespräch mit mir gesucht, weil er unentschlossen war und darüber sprechen wollte. Auch viele Abgeordnete, die in diesem Jahr nicht wiedergewählt wurden, sind danach zu mir gekommen.

Und auf der anderen Seite sind Sie Interessensvertreter der Kirche. Welchen Stellenwert hat Kirche denn im politischen Berlin überhaupt?

Dutzmann Unsere Stimme wird gehört. Immerhin vertreten wir gemeinsam mit den Katholiken rund 60 Prozent der Bevölkerung. Wir sind also kein beliebiger Verein. Und so berufen sich die Fraktionen in Diskussionen auch auf die Kirche. Gerade formulieren wir ganz deutlich, dass wir nicht damit einverstanden sind, den Familiennachzug für Flüchtlinge auszusetzen. Wir beziehen klar Stellung. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, der Politik rein zu regieren.

Haifischbecken statt Gemeindeleben: Wie erleben Sie denn den Alltag unter Politikern?

Dutzmann Sie kochen alle nur mit Wasser. Und ich habe wunderbare Menschen in Berlin kennengelernt mit viel Klugheit und Verantwortungsbewusstsein. Politiker haben die pauschale Verachtung nicht verdient. Fremd geblieben ist mir taktisches Vorgehen. Und natürlich gibt es auch Menschen, mit denen man nicht warm wird. Aber die gab es auch in der Gemeinde.

Flüchtlingsfrage, AfD und Terrorismusangst: Macht es Ihnen eigentlich Spaß, in diesen Zeiten die Verbindungsstelle zur Politik zu sein?

Dutzmann Spaß ist vielleicht das falsche Wort. Aber ich mache meine Arbeit gerne und gerade in diesen Zeiten ist sie eine große Herausforderung. Für uns ist klar: Wir behandeln alle Abgeordneten gleich. Wir werden sicher mit einigen die Klingen kreuzen. Klar ist aber auch: Bei Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ist Schluss. Dann laden wir Menschen auch nicht mehr zu uns ein.

Wünschen Sie sich manchmal in den friedlichen Gemeindealltag zurück?

Dutzmann Ich will und kann gar nicht anders, als auch in der Gemeinde zu arbeiten. Und deswegen predige ich regelmäßig in der Gedächtniskirche und habe einen Predigt-Auftrag in der Dorfkirche Alt-Tegel. Dort singen meine Frau und ich auch in der Kantorei. Und dort bin ich auch für die Christvesper angefragt. Das ist ganz normale Gemeindearbeit und ich habe festgestellt: Ich kann das auch noch. Danach weiß ich dann auch wieder, wofür ich das alles mache: um der Menschen Willen.

DAS INTERVIEW FÜHRTE THERESA DEMSKI

(resa)
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