Remscheid Die große Kunst des Versagens

Remscheid · Das Ensemble des "Theaters an der Ruhr" verneigt sich vor der Geschichte der Clowns. Ein berührender Abend im Teo Otto Theater.

Remscheid: Die große Kunst des Versagens
Foto: Andreas Köhring

Roberto Ciulli, der Intendant des "Theaters an der Ruhr", liebt Clowns. Er selbst spielt mit seinen über 80 Jahren immer wieder mal einen Clown auf der Bühne, zum Beispiel in der Geschichte des "Kleinen Prinzen" mit Maria Neumann. Ciulli, dieser europäische Theatermacher, hat eine Hommage an die Kunst der Clowns inszeniert. Ein Theaterabend ohne Worte. Nur mit ein bisschen Gebrabbel, ein paar Geräuschen und Musik. Die Sprache der Clowns lebt von Gestik und Mimik, von Rhythmus und Wiederholungen, nicht so sehr vom geschliffenen Wort. Das Besondere und Herzerfrischende ihrer Kunst zeigt sich in dem anderen Blick auf die Welt, auf die Welt vor unserer Haustüre, auf die Alltagsdinge. In den kleinen Dingen ist der Clown ganz groß.

Ciulli verlegt die Bühne der Clowns von der Manege in ein Altenheim. Eine Kolonie vergessener Künstler. Die einzelnen Bewohner mit ihrer Skurrilität und Bizarrheit, mit ihren Spleens und ihren Eitelkeiten formieren sich zu einem Ensemble, das die komisch-traurigen Seiten eines streng strukturierten Alltags auf dem Abstellgleis des Lebens zeigt. Erträglich ist dieses Leben in seiner festgezurrten Heimordnung nur durch die zeitweise Auflösung aller Zwänge, durch unfreiwillige Flucht in die Musik und Komik. Das morgendliche Lesen der akribisch zugeteilten Zeitungen verwandelt sich nach und nach in eine kleine Raschelsymphonie aus Zeitungspapier. Die Bewohner, auf ihren weißen Kinderstühlchen sitzend, schütteln und zerreißen die Papierbündel oder wischen mit ihnen über den Boden. Ein Husten, ein Gähnen, ein Stöhnen geben dem Rascheln eine musikalische Struktur, die zusammenbricht, wenn der Heimwächter, ein langer Lulatsch, die Lesestunde beendet. Die Misslichkeiten des Alters und seine zunehmenden Todesahnungen lassen sich besser ertragen, wenn man seinen clownesken Humor als Überlebensstrategie beibehält. Darauf deuten solche Szenen hin.

Die Aufführung versteht sich als Elegie auf den geistreichen Blick des Clowns. Es ist ein doppelter Blick. Denn es gibt den roten und den weißen Clown. Der Weißclowns will glänzen und brillieren, dem Rotclowns misslingt fast alles, er hat aber den größten Erfolg beim Publikum. In der Inszenierung treten verschiedene Rot- und Weiß-Clownpärchen auf. Jeder ist hier ein bisschen Dick & Doof. Da steht zum Beispiel ein Geiger mit seiner Minigeige und fiedelt virtuos - bis sein Geigenbogen seine Perücke aufspießt. In der Wiederholung der Szene bekommt das Missgeschick poetischen Glanz. Er zeigt den Triumph des Versagens.

In der Schlusssequenz liegen Holzteile auf dem Boden. Beim ersten Hinschauen sieht es so aus, als würde ein Sarg im Gesellschaftsraum dieses dunklen Altenheims stehen. Einer der Bewohner liegt schon in der Kiste. Doch die Clowns bei Cilulli sterben nicht so schnell - auch wenn aus Versehen ein Bewohner den arroganten, aber brillanten Pianisten vom Klavierschemel geschossen hat. Sie bauen nun einen großen weißen Schrank auf der Bühne auf. Ein Teil ist am Ende zu viel. Was soll man da nur machen? Nach ein paar umständlichen Übungen passt das hübsche Brett doch oben an die Front des schicken Möbels. Orchestermusik verströmt ein wenig Zirkusatmosphäre. Alle sieben Clownsdarsteller verstecken sich im Schrank. Ganz schön eng - und husch sind sie weggezaubert. Futsch. In Luft aufgelöst. Keiner mehr zu sehen. Kann doch nicht sein. Noch mal nachschauen. Türe zu, Türe auf. Aaaaah - da sind sie wieder.

Der Schrank steht in diesem Stück vielleicht auch für das Unvergängliche der Clownskunst, für die alte Zeit, die nicht einfach im Keller der Geschichte verrotten darf. Bei Ciulli leben die Clowns als große Melancholiker wieder auf. Akrobat schön.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort