Remscheid Die Schatzinsel

Remscheid · Wie August Gissler (1857 bis 1935) die Silvesterabende auf jener Insel verbrachte, mit der er sein Lebensglück so eng verknüpft hatte, ist nicht überliefert. Es dürften aber bis zu 20 solcher Silvestertage gewesen sein. Sie waren jedenfalls warm und feucht. Und statt Champagner könnte es zum Jahreswechsel Kokosmilch gegeben haben.

Das wegen seines Reichtums an Palmen Kokos-Insel genannte Eiland, rund 300 Meilen von der Küste Costa Ricas entfernt, ist bis heute unbewohnt und hat außer seinem Naturreichtum mit tausenden von Palmen und etwa 200 grandiosen Wasserfällen nichts zu bieten - außer Legenden. Der schottische Schriftsteller Louis Robert Stevenson (1850-1894), ein Zeitgenosse Gisslers, ließ sich von der Insel und ihren Legenden inspirieren und machte sie in seinem gleichnamigen Roman als "Die Schatzinsel" weltberühmt. An einem feuchtheißen Nachmittag Ende Februar 1889 betritt Gissler erstmals in der Chatambucht die nur 24 Quadratkilometer große Insel. Die Reise auf einem gecharterten Dreimaster war lang und beschwerlich. Wegen der vielen Korallenriffe und gefährlichen Strömungen hatten Gissler und seine sechs Begleiter das letzte Stück mit einem Beiboot zurückgelegt. Dabei wurden sie flankiert von Delphinen, Kabeljau-, Tunfischschwärmen und Haien. Gissler wähnte sich am Ziel seiner Träume. Er war sicher, dass es nur noch Tage dauern konnte, bis er den legendären Kirchenschatz von Lima in seinen Händen hielt. Zwei Schatzkarten sollten ihm den Weg weisen. Dass es 20 Jahre dauern sollte, bis er verzweifelt und ruiniert die Insel mit leeren Händen verlässt, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Jahre in Remscheid dürften nur kurz gewesen sein.

Der Sohn einer rheinischen Papierfabrikantenfamilie suchte das Abenteuer. Er soll ein stattlicher Mann von hünenhaftem Wuchs gewesen sein. Historische Fotos, etwa in der Uniform des ersten und einzigen Inselgouverneurs, zu der ihn die Regierung Costa Ricas 1897 ernennen sollte, zeigen ihn mit langem Bart. Als er 20 Jahre alt war, heuerte er in London auf der "Highflyer" an, um auf Honolulu als Ananaspflücker zu arbeiten. An Bord begegnete er Manoel Cabral, einem jungen portugiesischen Auswanderer mit blatternnarbigem Gesicht. Der berichtete ihm von seinem Großvater, der angeblich dabei war, als der schottische Kapitän William Thomson 1820 in den Wirren der südamerikanischen Befreiungskriege den Spaniern den sagenhaften Kirchenschatz von Lima entriss, darunter eine tonnenschwere Statue der Jungfrau Maria aus reinem Gold.

Sieben Jahre später sollte Gissler noch eine zweite Schatzkarte eines deutschen Emigranten in die Hände fallen, deren Kennzeichen sich mit der ersten deckte. Gissler grub kilometerlange Tunnelsysteme. Es gelang ihm, ein Dutzend Siedler-Familien als Arbeitskräfte für die Schatzsuche auf die Insel zu locken. 1894 gründete er die Aktiengesellschaft "Cocos Plantation Company", um seine Suche zu finanzieren. In der kleinen Kolonie auf der Kokos-Insel pflanzten Gissler und seine Siedler Tabak, Bananen, Zitrusfrüchte, Getreide und Gemüse an. Die Siedlung bestand von 1889 bis 1903, danach lebten der Robinson aus Remscheid und seine amerikanische Frau allein auf der Insel. Die Ausbeute der 20-jährigen Schatzsuche blieb überschaubar: ein paar Goldmünzen aus dem Strandsand. Schließlich gab Gissler auf und zog mit seiner Frau nach New York. 1935 soll er dort in Armut gestorben sein. Seine Heimatstadt Remscheid sah er nicht wieder.

(RP)
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