Remscheid Eine Reise an den Rand der Erinnerungen

Remscheid · Orchester spielte für Menschen mit und ohne Demenzerkrankung.

 Christa Braunschweig (l.), Helga von der Mühlen (2.v.l.) und Eugen Fuchs (hinten r.) beim Operettennachmittag im Teo Otto Theater.

Christa Braunschweig (l.), Helga von der Mühlen (2.v.l.) und Eugen Fuchs (hinten r.) beim Operettennachmittag im Teo Otto Theater.

Foto: Michael Schütz

47 Jahre hat Eugen Fuchs bei der Firma Krumm im Hammerwerk gearbeitet. Der Klang der Schmiede war die Musik seines Alltags. Gestern betrat der 78-jährige Lenneper zum ersten Mal das Teo Otto Theater. Er hat sich feingemacht. Weißes Hemd, hellgelber Pullover, braune Stoffhose. "Was ist das schön hier", sagt Fuchs. Zusammen mit weiteren fünf Bewohnerinnen des Altenheims Wiedenhof sitzt er in der siebten Reihe und freut sich auf ein Konzert mit den Bergischen Symphonikern. Operetten-Arien aus "Gräfin Mariza", "Das weiße Rössel" und anderen Klassikern. Christa Braunschweig und Helga von der Mühlen, Bewohnerinnen des Wiedenhofs, kennen das Teo Otto Theater aus Jugendjahren flüchtig. Das ist lange her. Bei den Hits der Operette sind die beiden aber bewandert. Als das Orchester "Im weißen Rössel am Wolfgangsee" spielt, steht Christa Braunschweig spontan auf, klatsch und singt mit. Die 50er Jahre werden lebendig. Aus ihren Augen strahlt die junge Christa.

Das Konzert der Symphoniker ist eine musikalische Reise an den Rand des Vergessens. Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann, heißt ein schöner Satz. Doch bei Demenzkranken bröckeln die Pfeiler des Reichs der Erinnerung. Tiefer als jedes Wort es vermag, berührt Musik die Seele von alten Menschen, die im Schattenreich des Vergessens leben. Mit Unterstützung des Demenzzentrums der Stiftung Tannenhof hat das Orchester ein Programm mit dem Titel "Unvergesslich" erarbeitet.

Die Symphoniker sind in voller Besetzung erschienen. Generalmusikdirektor Kuhn dirigiert. Zwei Herren und eine Dame präsentieren sich als Fachleute der leichten Muse. Sie können mir Augenzwinkern singen und den Heimatmelodien ordentlich Zucker geben.

Im Wiedenhof singen die Bewohner oft. Die Damen haben Eugen Fuchs zum Chorleiter ernannt. Mit Volksliedern kennt er sich aus. "Hoch auf dem gelben Wagen", "Es waren zwei Königskinder".... Fuchs zählt seine Favoriten schnell auf. "Und freitags gehen wir tanzen", ergänzt Helga von der Mühlen.

Tordis Mittelbach ist Altenpflegerin im Wiedenhof. Wie Musik an Demenz erkrankte Menschen erreicht, erstaunt sie immer wieder. Menschen, die ansonsten nicht mehr sprechen und nur im Rollstuhl sitzen, fangen an, ihre Beine zu bewegen, wenn vertraute Melodien erklingen. "Berliner Luft" ist so eine vertraute Melodie. Kurz vor Ende des Konzerts erklingt sie. Kuhn hat Konkurrenz bekommen. Eine Frau in der elften Reihe dirigiert mit. Der Saal klatscht. Ein Lächeln strahlt auf den meisten Gesichtern. "Das war ja mal ein Erlebnis", sagt Eugen Fuchs auf dem Weg nach Hause. Ob er ein weiteres Mal das Teo Otto Theater besuchen würde, braucht man ihn nicht zu fragen.

(RP)
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