Remscheid Fotos ohne Fotoapparat - Garten als Dunkelkammer

Remscheid · Der Lenneper Künstler Floris M. Neusüss wird heute 80 Jahre alt. Sein Künstlerkollege Klaus Küster gratuliert in einem Gastbeitrag.

Floris M. Neusüss wurde heute vor 80 Jahren in Lennep geboren. Aus seiner Schulzeit gibt es aus dem Jahre 1953 eine von ihm - der damals noch Schüler am Lenneper Röntgen-Gymnasium war - aufgenommene Fotografie, welche ein hochformatiges schwarzes Rechteck zeigt, in dem wenige weiße Linien andeuten, dass es sich um eine Tür handelt, die einen Spalt breit geöffnet ist. Die Tür selbst ist ebenso wenig zu sehen, wie der Raum, in dem sie sich befindet. Nur das Licht, in diesem Falle ein intensives Gegenlicht, lässt uns den Schlüssel finden, den unsere Erfahrung und unsere Phantasie bereit hält, um uns die Räumlichkeit der Dinge zu erschließen.

Diese nur auf Lichtlinien reduzierte Aufnahme wirkt heute auf mich wie ein früher Auftakt zum großen Licht-Opus dieses Künstlers, der wie kein anderer die Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte als Lichtbildner, Forscher, Lehrer und Historiker der Fotogramm-Thematik bereichert hat. Noch als Schüler machte er 1954 in der Foto-Arbeitsgemeinschaft des Röntgen-Gymnasiums seine ersten Erfahrungen mit der Fertigung und Gestaltung von Fotogrammen.

Interessierte Besucher der städtischen Galerie in der Scharffstraße nahmen 1998 die Gelegenheit wahr, einen umfangreichen Querschnitt aus dem Fotogramm-Schaffen von Floris M. Neusüss kennen zu lernen. In der Graphothek der Remscheider Stadtbibliothek kann man immer noch Werke von Floris Neusüss gegen ein kleines Entgelt für drei Monate ausleihen. Klassische Fotogramme sind Bilder, die durch Belichtung ohne Fotoapparat in einer Dunkelkammer entstehen. Der Schatten eines kurzzeitig beleuchteten Objekts bleibt hierbei auf einem lichtempfindlichen Papier (fotografisches Material) nach dem Entwicklungs- und dem nachfolgenden Fixier-Bad als weiße Silhouette, ja als die Spur des Objekts in dunklem Umfeld erhalten. Zum Vergleich denke man zum Beispiel an die helle Spur eines Kleidungsstückes im geröteten Hautumfeld nach einem Sonnenbrand.

Neusüss begann sein Studium mit Wandmalerei bei Ernst Oberhoff an der Wuppertaler Werkkunstschule (einen Studiengang Fotografie gab es damals in Wuppertal noch nicht). Es folgten weitere Studien an der Bayrischen Staatslehranstalt für Fotografie bei Hanna Seewald in München und bei Heinz Hajek-Halke an der Hochschule der Künste in Berlin. Seine zwischen 1958 und 1960 in München entstandene früheste Werkgruppe ist noch weitgehend von der Kamera-Fotografie geprägt. Sie umfasst Belichtungsmontagen mit großer Kamera, Doppelbelichtungen auf Glas-Negativen, Landschaften und Portraits. Ab 1960 entstanden in München, Wien und Berlin seine ersten 2,60 m hohen, lebensgroßen Körperfotogramme. Sie beeindruckten L.Fritz Gruber so sehr, dass er diese Aufsehen erregenden Arbeiten 1963 auf der Kölner photokina-Bilderschau präsentierte. In den folgenden Jahrzehnten entstehen Weiterentwicklungen der Körperfotogramme. Von 1972 bis 2002 war Neusüss Professor für experimentelle Fotografie an der Kunsthochschule in Kassel. Dort gründete er die Hochschulgalerie sowie die Sammlung und die Edition "Fotoforum Kassel".

1984 wird sein Garten bei Gewitter zur "nächtlichen Dunkelkammer". Seine ersten "Gewitterbilder" entstehen nach dem Positionieren von Fotopapier auf und zwischen Pflanzen erst dann, wenn sie durch die Helligkeit des Gewitterblitzes belichtet werden (dann aber ab damit in die Dunkelkammer zur Entwicklung). Mehr und mehr verlagert Neusüss 1987 seine Fotogramm-Arbeit aus dem Studio an nächtliche Orte im Freien. In diesen "Nachtbildern" ergänzen sich Natürliches und Künstliches zu einer kompositorisch spannenden Uneindeutigkeit. Wind, Wetter, Flora und Fauna werden auf dem dort ausgebreiteten Fotopapier zu Akteuren einer niemals zuvor gesehenen Wirklichkeit, für deren unmittelbare "Beseelung" der Blitz zuständig ist.

Herzlichen Glückwunsch, lieber Floris Neusüss.

(RP)
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