Remscheid Hauptsache überlebt

Remscheid · Vor 70 Jahren, am 15. April 1945, fuhren die ersten amerikanischen Panzer in Remscheid ein. Der Zweite Weltkrieg war für die Bürger zu Ende. Hans Euler war damals 15 Jahre alt. Er erinnert sich.

Remscheid: Hauptsache überlebt
Foto: Hertgen, Nico

Für Hans Euler und die Remscheider ging am 15. April 1945, vor 70 Jahren, der Zweite Weltkrieg zu Ende. Was kam, war die Angst vor den Amerikanern, den Siegern, den Fremden, dem Unbekannten. Hans Euler hatte zwei Wochen zuvor seinen 15. Geburtstag gefeiert. In der Hitlerjugend trichterten ihm stramme Nationalsozialisten das faschistische Denken ein. "Wir hatten fürchterliche Angst, was passiert mit uns, mit unseren Eltern", erzählt Euler im Gespräch mit der BM.

Der Einzug der Amerikaner kam für die Remscheider nicht überraschend. Euler stand am Tag zuvor an der Unterführung und beobachtete, wie Heerscharen von Wehrmachtssoldaten die Neuenkamperstraße hinuntermarschierten. "Es sah aus wie ein geordneter Rückzug", erinnert er sich. Außerdem gehörte der Kanonendonner aus Richtung Rhein und Ruhrgebiet zur täglichen Geräuschkulisse in den letzten Kriegstagen.

Georg zur Hellen, ein parteiloser Politiker, setzten die Amerikaner als ihren Vertrauten ein. Er sollte dafür sorgen, dass die Stadt kampflos übergeben werde. Bis auf einige Gefechte vor allem am Stadtrand und in Küppelstein gelang dies. Euler, der mit seiner Familie in einem ausgebombten Dachgeschoss in der Obertalstraße wohnte, sah am Morgen die ersten Panzer und Jeeps des 369. Infanterieregiments. Sie hielten am Zentralpunkt. "Die Soldaten waren alle schwer bewaffnet." Außergewöhnlich war für ihn, dass die Amerikaner auf leisen Kreppsohlen daherkamen, während die deutschen Soldaten mit "Knobelbechern" über die Straßen polterten. "Coffee, we want coffee." Ein Panzer hielt vor dem Haus der Eulers. Die Frauen brachten schnell das verlangte Getränk nach draußen. "Die haben das im hohen Bogen ausgespuckt. Wir hatten keinen Kaffee. Wir hatten nur Muckefuck", erzählt Euler. Die Soldaten zogen daraufhin ein Paket Bohnenkaffee aus dem Panzer. Der sollte nun aufgebrüht werden - und schmeckte allen wesentlich besser.

Die Angst ging um. Einen Schwarzen von Angesicht zu Angesicht hatte bisher niemand gesehen. Aber die Amerikaner erlebte Euler als freundlich, vor allem zu Kindern. Sie verteilten Schokolade und Apfelsinen. Euler bekam nichts geschenkt, er war mit 15 kein Kind mehr.

Über Megaphon kam die Aufforderung, wenn sich in den Häusern Soldaten aufhalten, sollten sie herauskommen, sie würden in Kürze abgeholt. Es folgten strenge Hausdurchsuchungen. Wer einen Soldaten versteckte, machte sich strafbar. Die Gefangenen kamen ins Lager auf den Rheinwiesen.

Die Amerikaner befreiten auch die russischen Zwangsarbeiter, die in einem Lager an der Papenberger Straße leben mussten. Euler weiß noch, dass bewaffnete Russen nun im Dunkeln durch die Straßen zogen und Häuser und Lebensmittellager plünderten. "Es war eine schlimme Zeit", sagt Euler.

Vor allem ging es in den Monaten danach ums nackte Überleben. Pferde der Wehrmacht wurden heimlich geschlachtet, ganze Waldflächen abgeholzt, um etwas Brennholz zu haben. Ins Oberbergische zog man aus, zu den Bauern, um auf den Feldern Kartoffeln zu klauen.

Als Befreiung hat Hans Euler den Einzug der Amerikaner nicht erlebt. Er war nur froh, dass er mit dem Leben davon gekommen war. Wenn er sieht, wie heute 15-Jährige leben, dann ist das für ihn das "reinste Paradies".

(RP)
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