Remscheid Heiterer Blick auf die Heimatstadt

Remscheid · Mit diesen großen, sanften Augen unter dem fuchsbraun schimmernden Pony formt sich der Blick auf Remscheid anders, als es der Blick des gewöhnlichen Remscheiders tut. Nicht schöner, aber gehaltvoller, nicht gelangweilt, sondern überraschungsfreudig, nicht melancholisch-betrübt, sondern voller heiterer Energie.

 Heute trägt Melanie Clemens keine Kostüme mehr.

Heute trägt Melanie Clemens keine Kostüme mehr.

Foto: Moll Jürgen

"Ich wusste nichts über Remscheid", sagt Melanie Clemens. Zur Regionale 2006 suchten die Organisatoren Stadtführer. Warum nicht, dachte sie. Warum soll ich nicht Stadtführerin in Remscheid werden? Wie gute Stadtführungen aussehen können, hat sie während ihrer Studienjahre in Köln erfahren. Kölner Stadtführer präsentieren sich nicht als trockene Faktenhuber, die die Ahnengalerie der Dombaumeister runterbeten. Sie zeigen sich als kleine und große Unterhaltungskünstler. Das Sherlock-Holmes-Kostüm gehörte zu ihren liebsten. Und auch die Magd hat sie gerne gespielt, erzählt Clemens. Mit diesen Figuren gab sie ihren Führungen ein Gesicht und eine Einstellung. Zu Beginn ihres Feierabendlebens als Stadtführerin halfen die Masken, eine Gruppe zwei Stunden lang für die Geschichten des Viertels zu interessieren. Heute vertritt sie die Meinung, Stimme, Persönlichkeit und Haltung reichten aus, um die Gäste zu packen. Zum Beispiel mit der Geschichte von den "Blutenden Steinen" am Holscheidsberg. Eine Brudermordgeschichte rankt sich um diese Gesteinsknubbel. Aus Eifersucht soll der eine Bruder dem anderen Bruder einen Stein über den Kopf geschlagen haben, weil die schöne Marie ihm mehr zugeneigt war als ihm. Entsetzt über sein Tun wünschte sich der Affekttäter, zu Stein zu erstarren. So geschah es. Und wer an den Steinen kratzt, lässt Wunden wieder bluten und alles färbt sich rot. Vor allem Kinder tasten nach dieser Geschichte die Steine nach Blutspuren ab, erzählt Clemens.

Als das "Exit" in Müngsten zu den angesagten Discos im Bergischen zählte, gehörte Melanie Clemens zu den Stammgästen. Sie erlebte auch den Untergang des "Exit". Immer weniger Besucher kamen. Nicht der Betreiber sei verantwortlich, sondern die Besucher dafür, dass nix los sei, dachte Clemens. Sie zog eine Grenze zu den ewigen Meckerern und Anhängern von "Remscheid = Tote-Hose".

"Remscheid ist eine gute Heimat für mich", sagt die Stadtführerin. Die Stadt biete alles, was man zum Leben brauche. Sie sei überschaubar, so dass sich die Menschen auch kennenlernen können. Der Blick der auswärtigen Gäste hat auch ihr Verhältnis zu Remscheid verändert. Wenn sie auf dem Rathausturm mit ihnen steht und über den Stadtkegel schaut, denkt sie manchmal für sich: "Ganz schön viel grauer Beton hier." Auswärtige geben sich aber völlig begeistert von dem vielen Grün in und rund um die Stadt. Man brauche nicht immer kritisch und mäkelig zu sein, erkannte sie. "Als Stadtführer muss man Bock haben, im Rampenlicht zu stehen", sagt Clemens. Ein Gespür für den Umgang mit Gruppen sei bei der Performance von zwei Stunden sehr hilfreich. Und die Texte, die man vorträgt, müsse man lieben. Jedes Wort und auch jedes Bild, das man von Remscheid zeigt. Ein Stadtführer ohne Überzeugungskraft rutscht schnell ab in die Liga von staubigem Geschichtsunterricht.

Am Ende der Runde steht der Applaus, das Dankeschön. Auch nach einem Gang bei Minus zehn Grad durch die Altstadt. Zu den schönsten Komplimenten für ihre Arbeit zählt Clemens aber Gäste, die immer wieder kommen und ihre Texte wie Fans mitsprechen könnten. Die Stammkunden werden traurig sein, auch wenn es weiter Führungen gibt, nur ohne Clemens.

(RP)
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