Analyse Mehr Mut zu unbequemen Diskussionen

Meinung | Remscheid · Der Ausgang der Bundestagswahl gibt auch für Remscheid Fingerzeige für die Zukunft der politischen Diskussion. Der Rat kann es in der zweiten Hälfte der Ratsperiode besser machen als der Bundestag.

Bei der zentralen Wahlveranstaltung für den Bergischen Wahlkreis 103 am Sonntag im Wuppertaler Rathaus hatte Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz (SPD) seinen Tablet-Computer immer im Blick. Während auf der Bühne im Lichthof Politikgrößen aus Wuppertal interviewt wurden, aktualisierte der OB immer wieder die Seite der städtischen Homepage, auf der die Remscheider Ergebnisse einliefen.

Dass sein Parteifreund Ingo Schäfer es nicht schaffen würde, den Wahlkreis für die SPD zurückzugewinnen, war schnell klar. So konzentrierte sich der Blick des OB auf die Ergebnisse der AfD. Würde sie in Remscheid wie im Bund drittstärkste Kraft werden ? Da stand am Ende eine wie Phoenix aus der Asche gestiegene FDP vor. Die Liberalen holten mit 13,4 Prozent ein Traumergebnis, die AFD landete mit 10,6 dann doch deutlich dahinter. Dennoch war das Abschneiden der Rechtspopulisten in jedem Gespräch Thema. Wie hat die Partei so stark werden können in einer Stadt, die stolz ist auf das gute Miteinander von mehr als 100 Nationen ?

Ein Blick auf die Ergebnisse in die Wahlbezirke hilft weiter. Rosenhügel, Honsberg, die Stadtbezirke mit hohem Ausländeranteil, sind jene, wo die SPD ausnahmsweise vor der CDU lag, die AfD aber zugleich ihre besten Ergebnisse holte. Beide Stadtteile sind seit Jahren Ziel von ehrgeizigen Förderprogrammen. Viel Geld und sozialarbeiterische Aufmerksamkeit sind hier hineingeflossen. Dennoch hat das Wahlthema Soziale Gerechtigkeit hier so wenig verfangen wie der Stolz auf "Ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben".

"Die Leute glauben uns nicht mehr". Diese erste Wahlanalyse des OB, formuliert unter dem Eindruck der ersten Hochrechnungen und der Ankündigung der SPD, im Bund nun in die Opposition gehen zu wollen, könnte ein Schlüssel sein zur Analyse dieses besonderen Wahlergebnisses. Die Zahl derjenigen, die den etablierten Parteien nicht mehr vertraut, wächst. "Daraus müssen wir lernen", sagte der OB im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wie aber könnte so ein Lernprozess aussehen ? Eine Möglichkeit deutete SPD-Parteifreund Sven Wolf an, der für die Zukunft eine andere Debattenkultur anmahnte. Das zwar mit Blick auf den Bundestag in Berlin, aber für den Remscheider Rat wäre es auch kein schlechter Ratschlag. Jeder Antrag, jede Anfrage, jede Wortmeldung wird seit dem Einzug der Ratsgruppe Pro Deutschland mit ihren gerade mal zwei Mitgliedern minuziös von den anderen Fraktionen daraufhin abgescannt, ob er den Rechtspopulisten Futter für ihre allein auf Asylpolitik und Migration ausgerichteten Wortbeiträge liefern könnte. Im Zweifel verkneift man sich lieber die Frage. Damit wird ein Teil der Remscheider Realität aus der politischen Diskussion künstlich heraus gehalten. Die Bundestagswahl zeigt, welchen Effekt das haben kann. Der Rat hat die Chance, es besser zu machen.

(hr)
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