Analyse Orchester gerät immer weiter ins Abseits

Remscheid · Ansichtssache Bei einer Mehrheit der Bürger und Politiker im Rat zeichnet sich ein Umbruch im Denken über Kulturpolitik ab. Viele kennen nicht mehr den Wert eines Orchesters, sondern nur noch seinen Preis. Die Bergischen Symphoniker brauchen mehr Rückhalt.

Wenn es nach der SPD, den Grünen und der FDP ginge, haben die Bergischen Symphoniker keine Zukunft mehr. Dann wird in sechs Jahren der Vertrag mit Solingen gekündigt, dann ist mit elf Jahren Schluss. Das sagen sie zwar nicht ausdrücklich. Die Kulturpolitiker winden sich gerne in Ja-Aber-Formulierungen. Aber die Stoßrichtung ist deutlich, wenn man die Zwischentöne hört und zwischen den Zeilen lesen kann.

Ihr hartnäckiger Wille, dem eigenständigen Musikleben in Remscheid den Todesstoß zu geben, wird von starken Argumenten getragen. Die Bergischen Symphoniker kosten zu viel Geld. Und das Orchester hat nicht den Zuspruch bei den Bürgern, den man erwartet. Warum soll man gut zwei Millionen Euro für ein Orchester ausgeben, das im Schnitt bei Philharmonischen Konzerten nur vor gut 300 Zuhörern spielt? Wie soll man den Bürgern weiter vermitteln, dass jede Karte mit fast 275 Euro bezuschusst wird? Das Geld könnte man vielleicht besser verwenden.

Die Sichtweise muss man ernst nehmen, denn sie trifft die verletzlichste Stelle im Kulturbetrieb. Die Haltung gegen das Orchester speist sich aus der rein wirtschaftlichen Perspektive. Unter dem ökonomischen Blickwinkel kann aber keine öffentliche Kulturinstitution bestehen. Kultur ist ein Minusgeschäft. In Remscheid und überall auf der Welt. Sie muss wirtschaftlich denken, kann aber nicht wirtschaftlich handeln.

Das Deutsche Werkzeugmuseum und das Deutsche Röntgenmuseum arbeiten auch defizitär. Ohne kräftige Zuschüsse müssten Bücherei, Volkshochschule und Musik- und Kunstschule dichtmachen. Wer nur mit Zahlen argumentiert, wie es mal wieder im Moment der Fall ist, zeigt wenig Gespür für das Wesen von Kulturpolitik.

Andererseits reibt man sich immer wieder die Augen über die blanke Naivität bei manchen Verteidigern der Remscheider Kultur. Sie belächeln die Mehrheit der Politiker als Personen mit ausgeprägter Kulturferne. Und manche fühlen sich gar als die Retter des Abendlandes. Diese Haltung hilft niemandem. Im Gegenteil. Auch die Orchesterfreunde müssen begreifen, dass die Symphoniker nicht unantastbar sind, sondern sich bewähren müssen. Immer wieder neu. Das heißt, wenn die pädagogische Arbeit und die Konzerte der Bergischen Symphoniker keine ausreichende Akzeptanz mehr bei der Bevölkerung finden, hat das Orchester seine Daseinsberechtigung verloren. Aber noch ist es nicht so weit, auch wenn manche Politiker endlich einen Schlussstrich ziehen wollen.

Nach dem Abschluss des zweiten, schlampigen Fusionsvertrages haben einige Orchestermusiker gesagt, wir müssen alles dafür tun, dass es in Solingen und Remscheid keine Diskussion mehr über die Existenzberechtigung des Orchesters geben darf. Doch von neuem Engagement spürt man wenig. Es geht so weiter wie vorher. Ein intensives Bemühen um neue Zuhörer mit neuen Aktionen ist nicht zu spüren. Und so wie die Orchester GmbH bei der Öffentlichkeitsarbeit aufgestellt ist, kann es auch nicht gelingen. Seit 21 Jahren verfügt der Geschäftsführer über den gleichen Etat. Ein Desaster und ein Versagen der Verantwortlichen. Aufmerksamkeit ist die wichtigste Währung in der heutigen Zeit. Doch mit dieser lächerlichen Öffentlichkeitsarbeit verblasst das Orchester zu einer Randerscheinung im Kulturbetrieb.

Was ist zu tun? Wem es wichtig ist, dass die Bergischen Symphoniker weiterhin das Konzertleben in Remscheid bestimmen, der muss für die Musik werben. Auf allen Kanälen. Besucher müssten neue Besucher werben, Lehrer müssten mehr Zeit für einen regelmäßigen Orchesterbesuch investieren, das Orchester müsste sich mit neuen Formaten vorstellen und professionell an seiner Außendarstellung arbeiten. Das Orchester braucht Fans aus allen Bevölkerungsschichten, auch bei denen, die nicht ins Konzert gehen. Und es braucht Politiker, die sagen: "Wir sind zwar eine Großstadt mit wenig Geld, aber wir sind stolz, ein eigenes Orchester zu haben. Es ist uns wichtig." Doch zurzeit ist ein gravierender Umbruch im Denken über Kulturpolitik bei den Bürgern und den Politikern im Rat bemerkbar. Sie kennen nicht mehr den Wert eines Orchesters, sondern nur noch seinen Preis.

Wenn dieser neue Aufbruch zu einem Bürgerorchester nicht unverzüglich eingeleitet wird, sind seine Tage gezählt. Dann haben diejenigen gesiegt, die immer schon stolz darauf waren zu sagen, klassische Musik sei doch nur etwas für Reiche. Ohne Orchester spart Remscheid eine Menge Geld. Aber es verliert ein großes Stück Lebensqualität. Dann würde die Stadt klingen wie ein ewiger Trauermarsch.

(RP)
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