Analyse Prösterchen, Prösterchen

Remscheid · Ansichtssache Hannelörchen I. besuchte den Altweiberball im Rathaus.

Martha, meine allwissende Nachbarin, traf ich während der Altweiberfeier auf den Fluren im Rathaus. Sie hatte sich als Ministerpräsidentin Hannelörchen I.verkleidet. In goldenen Lettern trug sie auf ihrem blauschimmernden Samtmantel mit sozialistisch-rotem Kragen die Aufschrift: Keine Kommune zurücklassen. Der OB musste seinen schwarzen Zylinderhut erst einmal weit in den Nacken schieben, um zu glauben, was er dort las. Nach mehrmaligem Hinschauen rief er beim Stadtmarketingchef Andreas Meike an, um ein paar zusätzliche Kisten Sekt zu ordern.

Prösterchen. Prösterchen.

Einer Ministerpräsidentin Hannelörchen I. stehen an Tagen wie diesen alle Türen im Rathaus offen. An welchem Zimmer sie auch vorbeischaute, überall Prösterchen, Prösterchen. Helau Hannelörchen. Kämmerer Wiertz, der "Birne Kohl" verblüffend ähnlich sah, ließ den neuesten Schuldenstand frisch ausdrucken. Hannelörchen I. strich mit leichter Hand schnell ein paar Nullen hinten weg. Der Chor der Kämmerei stimmte daraufhin das bergische Heimatlied an: "Wo den Hammer man schwinget, mit trotziger Kraft, da ist unserer Hannelörchen und steht voll im Saft!"

Gerührt durch dieses entzückende Ständchen zog Hannelörchen einen Brief aus ihrem wohl präparierten Dekolleté und legte ihn auf den eichenschweren Schreibtisch im OB-Zimmer. "Burkhard, bitte, lies doch mal vor." Der OB zupfte ein bisschen an seinem Frackhemd und öffnete das Schreiben mit dem Absender "Staatskanzlei Düsseldorf". "An den Oberbürgermeister der Stadt Remscheid, lieber Burkhard, lieber Sven. Mit großem Interessen hat die Landesregierung eure Aktion "Komm DOC nach Remscheid" verfolgt und eure Anträge studiert. Da wir von der Idee der inklusiven und exklusiven Nahversorgung so angetan sind, sagen wir der Stadt unsere ungeteilte Unterstützung zu. Die Pläne von Stadtentwickler Dr. Frank Neveling haben uns vollends überzeugt, so dass wir heute die Freude haben, euch die Baugenehmigung für ein DOC-Center mit sofortiger Wirkung zu erteilen."

Prösterchen, Prösterchen.

Die Stimme des OB klang so, als würde Arminia Bielefeld nach zehn Minuten 2:0 gegen Eintracht Frankfurt im DFB-Pokal führen.

Euphorisch las er weiter: "Zugleich haben wir auch die Förderanträge für das Haus Cleff bearbeitet und genehmigt. Wir finden die Idee ebenfalls vorbildlich, dass älteste Haus der Stadt in eine moderne Moschee umbauen zu lassen. Unten Gebetsraum, in der Mitte Teestube, oben eine Dauerausstellung mit Künstlern aus der Partnerstadt Kirsehir. Im angrenzenden Garten wird ein Minarett aus bergischen Schieferplatten errichtet, das auch als Sitz der neuen Flüchtlingsbibliothek genutzt werden darf. Alternativ würde der Aufbau des zusammengestürzten "Blauen Mondes" aus dem Südbezirk dort genehmigt werden."

Prösterchen. Prösterchen.

Ministerpräsidentin Hannelörchen I. hörte den OB auch noch die letzten Sätze des Briefes vorlesen. "Außerdem machen wir der Stadt zur Auflage, für jeden heimlich gefällten Baum eine öffentliche Sitzung zusammen mit Solingen und Wuppertal über die Zukunft der Kultur im Bergischen, unter besonderer Berücksichtigung des Orchesters, abzuhalten."

Schwankend ließ sie sich Richtung Treppenhaus treiben, pustete noch ein paar Luftschlangen ins Haar von Sozialdezernent Thomas Neuhaus und verschwand zwischen den Böen über den Rathausplatz.

Ich lief noch bis zur Tiefgarage hinterher und fragte: "Martha, alles gut mit Dir?".

"Prösterchen, Prösterchen", winkte sie.

(RP)
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