Fußball Alarm auf den Plätzen, Alarm bei der Kammer

Remscheid · Ab dem 13. Dezember 2013 sollte alles besser werden. An diesem Abend versammelte der Fußballkreis über 100 Vereinsvertreter sowie Abordnungen des Verbandes, der Stadt und des Sportbundes in der Aula des Remscheider Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums. Der zunehmenden Gewalt auf den Fußballplätzen sollte der Garaus gemacht werden. Eine konzertierte Aktion mit weiteren Treffen sollte folgen, um das Übel an der Wurzel zu packen und auszumerzen.

Was ein Jahr später daraus geworden ist? Nichts! Mangels erkennbarem Nutzwert hat beispielsweise der Vorsitzende der Kreis-Spruchkammer, Kim Keil, weitere runde Tische in der Art des 13. Dezembers 2013 abgelehnt. Er findet mit seiner Haltung breite Unterstützung. Was, fragen sich die Gegner solcher Diskussionen, soll eine Zusammenkunft Neues bringen, wenn sich Spieler, Trainer, Vereinsverantwortliche oder Zuschauer wenig später trotzdem nicht im Griff haben und den Fußballplatz weiter als Versuchsanordnung für Pöbeleien, Beleidigungen und Tätlichkeiten nutzen? Bei der jüngsten Spruchkammersitzung bekannte Keil: "Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann es zuletzt mal einen Spieltag auf Kreisebene gegeben hat, an dem nicht auf irgendeinem Platz Alarm war."

Wer den Zustand des Fußballs im Kreis einschätzen will, der muss nur mal die öffentlichen Spruchkammersitzungen besuchen. Dort werden die scheinbar alltäglichen Ausraster und Handgreiflichkeiten verhandelt - und von den Beklagten zu Petitessen heruntergespielt.

Beispiel Mittwoch. Beim A-Liga-Spiel zwischen Dhünn und Vatanspor Radevormwald hatte sich der Schiedsrichter von einem Spieler bedroht und von einem Betreuer als "Fettsack" beleidigt gefühlt. Zudem habe es den Versuch einer Spielmanipulation gebeben: Ein Betreuer habe den Schiri gefragt, ob die wegen der Bedrohung verhängten Rote Karte nicht in einen Platzverweis wegen groben Foulspiels umgewandelt werden könne. Dann wäre die zu erwartende Strafe nämlich geringer ausgefallen. Keine Lappalien, die der Unparteiische in einem Sonderbericht detailliert festhielt. Aber vor der Kammer blieb alles ziemlich vage. Schiedsrichter und Beschuldigte offenbarten Erinnerungslücken, und alle hatten sich plötzlich irgendwie wieder ganz doll lieb, zeigten sich wahlweise reuig oder fanden die Aktion im Nachgang "nicht so schlimm". Da staunte nicht nur die Kammer.

Nicht viel anders war es im zweiten Verfahren. Aus dem tätlichen Angriff eines Spielers, der in einem in hanebüchener Rechtschreibung verfassten Sonderbericht ("Der spieler wollte sein gegner fummel Da bei störte sein gegner im kampf um ball. Ich habe faul für im gefiffen da bei verärgerung mit faust gegner halb schwung ins geschlagen") festgehalten wurde, mutierte in der Verhandlung ein Losreißen nach Trikotzupfen samt ungewolltem Körperkontakt mit der flachen Hand. Auch hier urteilte die Kammer notgedrungen milde. Den schärfsten Rüffel fing sich noch der Schiri wegen der - sagen wir: etwas undeutlichen Formulierung des Sonderberichts ein.

Schließlich wurde am Donnerstag eine Schiri-Beleidigung durch das türkische Wort "Pic" verhandelt. Das bedeutet nach Keils Recherchen soviel wie "Bastard", "Drecksack" oder "Hurensohn". Der beklagte Spieler verstand die Aufregung aber nicht: Das sei "ein ganz normales Schimpfwort", das er oft benutzt und nur so vor sich her gesagt habe und mit dem er gewiss nicht den Unparteiischen gemeint haben könne. Der Schiri konnte das nicht widerlegen - er war nicht erschienen. Im Urteil musste die Kammer mangels Beweisen auf eine grobe Unsportlichkeit statt auf Beleidigung erkennen. Auch hier war die Strafe entsprechend milde.

Was wir daraus lernen? Am Umgang auf den Plätzen hat sich nichts geändert. Es hapert weiter am Willen, sich zu benehmen, an Respekt und Einsicht. Vor der Spruchkammer wird weiter munter gelogen, dass sich die Balken biegen. Umstände, unter denen die konsequente Verfolgung von keineswegs läppischen Verfehlungen nur schwer möglich ist. Dass wissen die betroffenen Spieler, Trainer, Vereinsverantwortlichen oder Zuschauer genau, die dank ihrer Teil-Amnesien und schauspielerischen Glanzleistungene bald wieder auf den Plätzen losgelassen werden können. Deswegen ist zu verstehen, warum es breite Ablehnung gibt, sich noch einmal an einen Runden Tisch zu setzen. Wenigstens in diesem Fall erscheint Kapitulation sinnvoller als Zeitverschwendung. Leider.

Eigene Meinung? Eigene Erfahrungen mit Auseinandersetzungen auf Plätzen oder mit Spruchkammersitzungen? Dann schreiben Sie uns eine Email an redaktion.remscheid@ bergische-morgenpost.de

(RP)
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