Remscheid Vom Rosenhügel den Weltmarkt erobert

Remscheid · "Alles dreht sich um Edscha" - unter diesem Titel hat Richard-O. Bremicker eine Chronik des Remscheider Welt-Unternehmens geschrieben, die auch eine bewegende Familiengeschichte ist.

 Eine Mustersterwand zeigt die Produktionspalette Eduard Scharwächters mit Scharnieren, Griffen und Schlössern um die Jahrhundertwende.

Eine Mustersterwand zeigt die Produktionspalette Eduard Scharwächters mit Scharnieren, Griffen und Schlössern um die Jahrhundertwende.

Foto: Edscha

Auf dem kolorierten Foto blickt der kahlköpfige Firmengründer mit Nickebrille und Doppelspitzbart leicht verkniffen drein. Seine Stirn liegt in Falten. Es ist das bereits gealterte Gesicht eines Tüftlers. Eduard Scharwächter, Sohn einer alteingesessenen Schlossmacherfamilie und gelernter Kleinschmied hatte am 15. Oktober 1870 im Remscheider Stadtteil Rosenhügel einen kleinen Betrieb gegründet, in dem er Scharniere, Beschläge und Schlösser produzierte. Dass er damit den Grundstein für ein Weltunternehmen mit 5200 Mitarbeitern legte, das bis heute als Automobilzulieferer mit seinen Scharnieren und Türaufstellern, elektrischen Antrieben und Betätigungssystemen maßgeblich die Funktionen moderner Automobiltechnik bestimmt, konnte er nicht wissen. Auch gab Eduard Scharwächter dem Remscheider Traditionsbetrieb seinen Namen: Edscha ist die Abkürzung seines Vor- und Nachnamens.

Das Foto des Gründers befindet sich neben vielen anderen in der Firmenchronik "Alles dreht sich um Edscha", die der Autor Richard-O. Bremicker, Urgroßneffe des Gründers, jetzt im Werkzeugmuseum bei einem Empfang vorstellte. Das Buch 207 Seiten starke Buch ist zugleich eine bewegende Familiengeschichte geworden.

"Familie und Firma gehörten zusammen" - so ist das erste Kapitel überschreiben, das die Zeit von 1870 bis 1950 beschreibt, in der die Remscheider Dynastie den Namen wechselt. Scharwächter, der sich mit Kriegsanleihen verspekuliert, ist kinderlos, wird mittellos. Er hat drei Neffen, der älteste, Richard Ernst Bremicker, übernimmt das Ruder. Das erste Kapitel endet an seinem Sterbebett am 4. Dezember 1943. Bremicker erleidet einen Herzinfarkt und ruft seinen Sohn Richard Albert zu sich. "Gleich wie der Krieg ausgeht", sagt er mit leiser Stimme, "richte dich darauf ein, es bleibt dir kein Geld erhalten, ob gewonnen oder verloren. An diesem Geld hängt Blut, und es bringt keinen Segen." Vielmehr solle sich der Junior um die Mitarbeiter kümmern und natürlich um die Familie, den Onkel und vor allem auch den Bruder Max, der sich in Kriegsgefangenschaft befand. "Sollte Max zurückkommen", sagt der Vater, bevor er die Augen schließt, "dann macht zusammen weiter, vertragt euch gut. Ihr habt keinen Vertrag, aber das Vertragen ist wichtiger als Verträge."

Verträge sollten später aber noch wichtig werden, so etwa der mit BMW. Im Februar 1983 begann Edscha gemeinsam mit BMW ein Textilverdeck für die 3er Reihe zu entwickeln. Ein Erfolg, denn 1985 sorgte das BMW-Cabrio bei der Automobilmesse IAA für großes Aufsehen. Edscha produzierte bis zu 200 Autoverdecke am Tag. Die Cabrio-Verdeckproduktion wurde in den kommenden Jahren zu einem Bestseller. Weitere BMW-Modelle kamen hinzu ebenso wie der Audi TT und der in den USA produzierte BMW Z3. Für andere weitsichtige Ideen wie etwa der 1952 entwickelte Kindersitz war die Zeit noch nicht reif.

War die Automobilindustrie so lange der starke Motor des Wirtschaftswachstums, das das Unternehmen auch international expandieren ließ und 1999 in einen Börsengang mündete, so verdunkelte sich nach der Jahrtausendwende der Himmel über der Remscheider Firmenzentrale. Am 2. Februar 2009 muss der Vorstand die Notbremse ziehen und für die europäischen Standorte Insolvenz anmelden. Das Unternehmen wurde geteilt und verkauft. Unter dem Dach des spanischen Automobilzulieferers Gestamp Automoción hat der Name Edscha weiterhin einen guten Klang. 360 von deutschlandweit 1800 Mitarbeitern arbeiten in Hohenhagen. Dem sozialen Anspruch des Familienunternehmens sind Bremicker und seine Frau treu geblieben mit ihrem Engagement bei der Flüchtlingshilfe, der Tafel und der Kinderschutzambulanz.

Das Buch ist für 56,90 Euro beim Verlag Pro Heraldica in Stuttgart erhältlich, www.pro-heraldica.de .

(bu)
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