Remscheid Wenn alle Töne ewige Trauer tragen

Remscheid · Die Bergischen Symphoniker spielten Verdis "Requiem". Ein eindrucksvolles Konzert mit 240 Musikern.

Remscheid: Wenn alle Töne ewige Trauer tragen
Foto: Hertgen, Nico (hn-)

Ein Stuhl blieb leer in den Reihen der ersten Violinen. Eine weiße Rose lag dort, wo sonst immer Natalia Sergeeva saß. Die junge Geigerin ist vor drei Wochen im Krankenhaus in Essen gestorben ist, nach der Geburt ihres ersten Sohnes.

Reqiem aeternam dona eis, Domine (Ewige Ruhe gib ihnen, Herr). Diese ersten Zeilen des Chores in Verdis "Messa di Requiem" lagen doppelgewichtig schwer auf der Seele, wenn man wusste, dass es das erste Konzert des Orchesters ohne die Russin war. Aber Verdis Musik erhebt sich über das Schicksal des Einzelnen. Seine Messe spielt dramatisch und virtuos mit der musikalischen Ausgestaltung der Fragen nach den letzten Dingen, wie es weitergeht mit dem Leben nach dem Tod.

Verdi gehörte nicht zum Kirchenvolk. Die Frömmigkeit eines Johann-Sebastian Bachs war ihm fremd. Sein Requiem löste sich in der Klangsprache von der kirchlichen Bindung. Der Operndramatiker setzte furios auf Kontraste und Kontrapunkte. Auch wenn die liturgische Form erhalten blieb, zwischenzeitlich saßen wir mitten in einem Drama, eingeklemmt zwischen zwei Polen, dem "Tag der Rache" und der "ewigen Ruhe".

240 Musiker standen auf der Bühne des Teo Otto Theaters. Generalmusikdirektor Peter Kuhn dirigierte das Orchester, den Chor des Orchesters (Einstudierung: Ulrich Eick-Kerssenbrock), den Landesjugendchor NRW und vier starke Solisten - und es fügte sich zu einem Konzert, das Glanz ausstrahlte, zu einem Abend, der in dieser Saison mit seiner existenziellen Tiefe wie ein Solitär herausragt.

Das letzte lateinische Wort war gesungen, Kuhn schickte die Töne in die Stille. Im Saal hörte man nur noch das Atmen der Besucher und der Musiker. Applaus würde die Erinnerung an die gerade gehörte Musik zerstörten, würde einen nach anderthalb Stunden wieder in die Welt holen, zurück auf die Straße des Alltags. Das wollte niemand nach diesem Konzert. Nicht sofort. Nicht so schnell. Noch einen Augenblick dieser gewaltigen Musik gemeinsam nachhängen - bis der erste Besucher nach einer kleinen Ewigkeit zögerlich Beifall klatschte. Beifall für eine eindrucksvolle Leistung.

Es gab Momente, in denen öffneten die Violinen nach einer Klanglawine eine Gletscherspalte, aus der ein warmer Strahl aufstieg. Oder die Blechbläser bohrten mit harten Rhythmen Löcher in allen Wohlklang. Oder die Basstrommeln wummerten inmitten des Sturzbaches aus Rachetönen an das Tor im inneren Kreis der Hölle. Als der Donner verflog, das mehrstöckige Haus, das der fulminante Chor Schicht um Schicht und größer und höher gebaut hatte, mit einem Wimpernschlag verschwand, dann stieg der Klang der Klarinette auf, und alle Töne trugen ewige Trauer. Kuhn gestaltete das Zusammenspiel der drei Gruppen klar und transparent. Auch wenn die Takte unter Starkstrom standen, überdrehte er Verdis Requiem nicht.

Mit Rossella Ragatzu (Sopran), Bettina Ranch (Mezzosopran) Hector Sandoval (Tenor) und Yoo-Chang Nah (Bariton) sang ein Quartett mit geballter Opernerfahrung. So bestand nie die Gefahr, in die schmale Tonspur von Oratoriumsängern zu rutschen. Die Vier waren würdige Hauptdarsteller in diesem religiösen Drama. Hoffnung und Trost wollte Verdi mit seiner Komposition spenden. Hoffnung und Trost, die der kleine Sohn von Natalia Sergeeva gebrauchen kann. Seine Mutter hat er nie gesehen.

(RP)
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