Wolf Lüttinger "Wir können uns das Orchester nicht leisten"

Remscheid · Der Vorsitzende der FDP-Ratsgruppe sieht die Stadt auch in den kommenden Jahren unter massivem Spardruck.

 Wolf Lüttinger beim Interview in unserer Redaktion.

Wolf Lüttinger beim Interview in unserer Redaktion.

Foto: Jürgen Moll

Herr Lüttinger, die Landes-FDP steht in den Umfragen bei 11 Prozent, unsere Zeitung berichtete unlängst von "rot-gelben Gedankenspielen". Was sagen Sie dazu?

Lüttinger Das ist erst mal nur eine Momentaufnahme. Aber wenn ich lese, dass wir in den Umfragen bei elf Prozent liegen, dann freut mich das. Das erinnert mich an die Bedeutung, die die FDP in der vergangenen Wahlperiode in Remscheid hatte. Bei der Kommunalwahl nach der vergangenen Bundestagswahl sind wir hier in Remscheid für das Abschneiden der FDP in Berlin bestraft worden. Dadurch sind wir jetzt keine Fraktion mehr, sondern nur noch eine Ratsgruppe - mit allen Konsequenzen, die das bedeutet.

Sie haben mal gesagt, die Parteiprogramme seien im Kommunalen nicht so wichtig. Aber wie macht man als kleine Fraktion oder als Ratsgruppe im aktuellen Viererbündnis von SPD, Grüne, FDP und Wählergemeinschaft auf sich aufmerksam?

Lüttinger Es geht immer darum, Mehrheiten zu finden. Die CDU begnügt sich damit, nur Anfragen zu stellen. Wenn man etwas bewirken will, muss man Anträge stellen. Und man braucht Mehrheiten. Das machen wir. Zugebener maßen mit anderen. Denn mit den zwei Leuten, die wir im Rat haben, schaffen wir das nicht alleine.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich die große Fraktion am Ende den Erfolg auf die Fahne schreibt ?

Lüttinger Es ist glaubwürdig, dass in den Beschlüssen viel FDP drinsteckt. Nehmen sie die Initiativen für mehr Gewerbeflächen oder für mehr Wohnflächen. Das ist FDP-Politik. Wir stellen keine Anträge nur für die Galerie.

In ihrem Rechenschaftsbericht erklären sie, dass die FDP verhindern will, dass die Grundsteuer B zum Steinbruch für politische Wunschprojekte missbraucht wird. Was meinen Sie damit ?

Lüttinger Die Gesetzgebung hat den Kommunen als einzige bedeutende Steuer, die sie selber beeinflussen können, leider eigentlich nur die Grundsteuer gelassen. Die kann man immer dann nach oben schrauben, wenn die Kassenlage nicht passt. Das ist die große Gefahr. Bis mindestens 2021 sind wir in Remscheid finanziell noch schwer angeschlagen, das vergessen viele Menschen. Für Dinge, die nicht zwingend erforderlich sind, haben wir kein Geld.

Gibt es denn aktuell Ideen ihrer politischen Partner, die Ihnen Sorgen machen?

Lüttinger Bislang haben wird das gemeinsam verhindern können. Aber man muss immer wieder auf unsere Finanzlage hinweisen, damit es niemand vergisst. Anders als heute hat früher niemand gemerkt, wenn Remscheid Schulden gemacht hat, darum haben wir heute einen Überziehungskredit in unglaublicher Höhe.

Es gibt also keine Luft für neue Projekte?

Lüttinger Wenn ich die Steuern nicht erhöhen will, geht das nur, indem ich parallel auf andere Dinge verzichte. Das führt zu unangenehmen Diskussionen.

Aus ihrer Rede stammt der bemerkenswerte Satz, dass sich Remscheid die Bergischen Symphoniker eigentlich nicht erlauben kann. Was heißt das in der Konsequenz ?

Lüttinger In den kommenden Jahren wird der Finanzbedarf des Orchesters weiter steigen. Die Regierungspräsidentin hat uns gesagt, dass wir einen Deckel auf die Kosten legen müssen, sie dürfen nicht ins Uferlose steigen. Wir müssen jetzt eine offene und faire Diskussion über dieses Thema führen. An deren Ende kann ja die Entscheidung stehen, dass man andere Dinge aufgibt und das Orchester fortführt. Denn eines wissen alle, die ehrlich sind: Wir haben keine Chance, mehr Geld auszugeben.

Das heißt aber auch: Am Ende könnte die Erkenntnis stehen, dass man das Orchester nicht mehr will ?

Lüttinger Noch einmal: Man hat sich etwas geleistet, was man eigentlich nicht mehr bezahlen kann. Meine Aussage auf dem Parteitag bedeutet darum, dass ich persönlich nicht weiß, wo das Geld herkommen soll. Es gibt auch Leute, die darüber nachdenken, das Theater zuzumachen. Das ist für mich aber überhaupt keine Alternative.

Es gibt auch Stimmen, die fordern, dass das Orchester wirtschaftlicher werden soll.

Lüttinger Wir müssen uns klar machen, dass jede Konzertkarte stark subventioniert ist. Sie müsste 275 Euro kosten, der Besucher zahlt aber höchstens 36 Euro. Selbst wenn alle Konzerte ausverkauft wären, würde das an der Tendenz, dass die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen größer wird, nichts ändern. Eigentlich wäre das ein Thema für den Landtagswahlkampf. Das Land gibt gerade viel Geld aus - warum fließt nicht auch mehr in die Kultur ?

Also bitten wir mal wieder um Hilfe vom Land?

Lüttinger Ich wiederhole: Wir können uns das Orchester nicht leisten. Wenn ich das Geld, das wir jetzt für das Orchester ausgeben, umrechne in mögliche Engagements eines auswärtigen Orchesters in Remscheid, dann komme ich auf mehr Konzerte als im Theaterkalender stehen. Die Angst vor einem Qualitätsverlust, der eintritt, wenn Remscheid kein eigenes Orchester mehr hat, ist falsch.

Zum Schluss noch mal ein ganz anderes Thema. Remscheid hat nach Aussage des mittlerweile nach Münster gewechselten Stadtplaner Robin Denstorff in der Vergangenheit das Segment des hochwertigen Wohnungsbaus vernachlässigt. Stimmt das? Und wenn ja, wo hätten wir noch Platz dafür ?

Lüttinger Das ist ein Punkt, mit dem ich seit bestimmt seit drei Jahren unserem Oberbürgermeister und den Stadtentwicklern hinterherrenne. Ich könnte mit Investoren frei finanzierten Mietwohnungsbau realisieren. Wir könnten in guten Lagen in Remscheid sofort 60 bis 70 Wohnungen bauen. Gerade in diesem Segment. Wir haben aber keine Flächen. Es gibt kein Konzept, weil es bei der Stadt keine Leute gab, die das konnten und wollten.

Und das war es dann? Was ist mit der Knusthöhe in Lennep, die hat Herr Denstorff im BM-Interview als Fläche genannt?

Lüttinger Das kann ja nicht das Ende sein. In Hackenberg bekommen wir einen Teil des Bedarfes gedeckt. Ich hoffe, dass es dort am Ende ein städtebaulich ansprechenderes Quartier wird als der Hohenhagen. Das einzige Gebiet, das möglichst schnell zu realisieren ist, ist das an der Ringstraße. Da wird man rangehen müssen. Die Flächen, die am Eisernstein in die Vermarktung gehen werden, reichen in der Perspektive nicht aus. Eine Stadt, die in der Zukunft die Menschen aus der Rheinschiene holen will, muss über solche Fragen nachdenken und zeitnah Angebote schaffen.

HENNING RÖSER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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