Bernd Hans Müller "Wir müssen alle Risiken kennen"

Remscheid · Der Remscheider Professor spricht über die Bedeutung von Sicherheit in der modernen Arbeitswelt.

 Professor Bernd Hans Müller lehrte an der Universität Wuppertal.

Professor Bernd Hans Müller lehrte an der Universität Wuppertal.

Foto: ASER

Herr Müller, in diesen Tagen ist viel von Sicherheit die Rede. Die meisten Menschen denken dabei an Wohnungseinbrüche oder die Sicherheit auf den Straßen. Auch Terrorismus gilt inzwischen als Sicherheitsrisiko. Sehen Sie das auch so?

Bernd Hans Müller Es ist verständlich, dass Menschen angstfrei leben wollen und daher Wohnungseinbrüche, Überfälle und auch den Terrorismus als Bedrohung wahrnehmen. Zumal diese Themen in den Medien ständig präsent sind. Geht man von einer objektiven Risikobetrachtung aus, müsste man die Aufmerksamkeit anders kanalisieren: Es gibt in Deutschland jedes Jahr an die 400 Todesfälle bei der Arbeit und etwas über 3.000 Tote im Verkehr. Fast 10.000 Tote sind bei Unfällen im Haushalt und Tausende von Verletzten in allen genannten Bereichen zu beklagen.

Womit Sie andeuten, dass sich Sicherheitslücken eher in anderen lebensweltlichen Bereichen finden. Dabei haben Sie den Arbeitsschutz angesprochen: Wie selbstverständlich sind Maßnahmen zum Schutz von Menschen auf der Arbeit inzwischen hierzulande?

Müller Es gibt auch heute noch Betriebe, in denen immer nur gefragt wird: "Wo steht das?" Dabei wird die Einsicht in die Notwendigkeit und Angemessenheit von Maßnahmen ersetzt durch die Verpflichtung zur Einhaltung von Gesetzen und Verordnungen.

Was wohl daran liegen dürfte, dass Maßnahmen zum Arbeitsschutz Geld kosten?

Müller Arbeitsschutz ist in der Tat ein Wettbewerbsfaktor, sobald Betriebe im internationalen Wettbewerb stehen. Weshalb wenigstens auf europäischer Ebene gelten sollte, dass einheitliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer nicht nur erlassen, sondern auch durchgesetzt werden. Dabei muss klar sein, dass moderner Arbeitsschutz vom reinen Kampf gegen Unfälle weit entfernt ist. Heute geht es um die Mitwirkung bei der präventiven Gestaltung von Arbeit, die die Vereinbarkeit von wirtschaftlichen und humanen Zielen ermöglicht.

Warum beschäftigt man sich ausgerechnet im Bergischen Land mit diesen Fragen? Nach wie vor kann man innerhalb Deutschlands nur an der Bergischen Universität in Wuppertal Sicherheitstechnik studieren.

Mülller Dass die Sicherheitstechnik in dieser Region als Studienfach entstand, ist maßgeblich auf meinen Kollegen Peter C. Compes zurückzuführen. Er konnte die Hochschule - und letztlich auch das zuständige Ministerium - davon überzeugen, dass es sich bei der Sicherheitstechnik um eine eigenständige Disziplin handelt, deren Bedeutung zunehmen und die auch eine ausreichende Zahl an Studierenden interessieren würde. Es gab da anfänglich Zweifel. Doch es zeigte sich, dass die Wirtschaft tatsächlich in ausreichendem Umfang Ingenieure mit sicherheitstechnischer Ausrichtung brauchte. Gleichzeitig entwickelte sich in Wuppertal über Jahre hinweg eine stabile studentische Nachfrage.

Und das genügte als Existenzberechtigung für einen eigenen wissenschaftlichen Studiengang?

Müller Ein wichtiger Bestandteil des Erfolges war und ist die Forschungsleistung. Sie trägt schon seit Jahren auf hohem Niveau dazu bei, unseren Anspruch als größte deutsche universitäre Lehr- und Forschungseinrichtung zu sichern.

Welche neuen Erkenntnisse hat die Forschung denn geliefert?

Müller Mittlerweile ist es beispielsweise unverzichtbar, dass Sicherheitstechniker auch von Stressforschern lernen. Ihre Erkenntnisse muss der Sicherheitstechniker inzwischen bei der Gestaltung von Arbeit genauso berücksichtigen wie technische Lösungen. Wenn man sich die ständig ansteigenden Zahlen von psychischen Erkrankungen vor Augen führt, zeigt sich deutlich, dass es nicht länger nur um Unfallvermeidung geht. Sicherheitstechniker müssen alle Risiken erkennen, klassifizieren, bewerten und letztendlich auch beseitigen oder zumindest die Auswirkungen mildern. Das schließt die psychische Dimension ein. Diese zu beherrschen wird eine der großen Herausforderungen bei der Gestaltung zukünftiger Arbeitssysteme sein.

Das klingt so, als ob der Bedarf an Sicherheitstechnikern weiter steigen wird

Müller Die Vermittlungsquote unserer Absolventinnen und Absolventen ist auf einem Niveau von 100 Prozent. Was auch daran liegt, dass die Sicherheitstechnik in Wuppertal seit Jahren ihr Konzept fortschreibt und - ohne die mathematischen, naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen aufzugeben - zusätzliche Inhalte in die Ausbildung aufgenommen hat. Das betrifft sowohl neue fachliche Aspekte als auch solche, die sich als Soft-Skills zusammenfassen lassen. Diese Weiterentwicklung wissen potenzielle Arbeitgeber zu schätzen.

Die Sicherheitstechnik bleibt dennoch ein klassischer MINT-Studiengang, der weitreichende mathematische Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt. Offenbaren die letzten Jahrgänge von Abiturienten Schwächen in diesem Bereich?

Müller Es gibt auch bei uns Studierende, die an Mathematik oder allgemeinert an den mathematischen, natur- und ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen scheitern. Im Rahmen der relativ geringen Ressourcen, über die man verfügt, versucht man, die Betreuung dieser Studenten zu verbessern. Das geschieht in vielen Fällen erfolgreich. Darum sehe ich nicht, dass sich die Sicherheitstechnik unter diesem Aspekt um den Nachwuchs Sorgen machen muss. Ferner gilt für die Sicherheitstechnik in diesem Jahr wieder ein Numerus Clausus. Wir können also von Studenten ausgehen, die ein gutes Niveau mitbringen.

MELANIE APRIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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