"Wir sind alle auf Kante genäht"

Remscheid · Wie wichtig ist Spitzensport für Remscheid? Und wie kann man die finanziellen Bedingungen dafür verbessern? Darüber sprach die BM mit Sportdezernent Thomas Neuhaus, Ralf Hesse (HG Remscheid) und Georg Feldhoff (IGR Remscheid).

 Georg Feldhoff (r.),IG Remscheid, Sportdezernent Thomas Neuhaus (Mitte) und Ralf Hesse (l.) HG Remscheid kamenzum Interview in die Redaktion der Bergischen Morgenpost.

Georg Feldhoff (r.),IG Remscheid, Sportdezernent Thomas Neuhaus (Mitte) und Ralf Hesse (l.) HG Remscheid kamenzum Interview in die Redaktion der Bergischen Morgenpost.

Foto: Fotos Jürgen Moll

Herr Neuhaus, wir sitzen hier mit den beiden höchstklassigsten Vertretern des Mannschafts-Sports in Remscheid. Wie zufrieden sind Sie mit dem leistungsbezogenen Sport in Remscheid?

Neuhaus Zufrieden kann man da als Sportdezernent nicht sein. Es sei denn, man ist der Meinung, wir brauchen keinen Leistungssport in dieser Stadt. Diese Diskussion müssen wir führen.

Wie wichtig ist denn Spitzensport für die Stadt?

Neuhaus Man kann es gut am Beispiel der Kurzbahnmeisterschaften erklären. Sportlern wie Hannes Schürmann haben wir es zu verdanken, dass viele Hundert Menschen nach Remscheid kommen und in Hotels übernachten. Leistungssport kann für eine Kommune einen weit größeren Effekt haben, als wir das bisher annehmen. Auch für Unternehmen, für Beschäftigung, für die gute Stimmung in der Stadt. Es geht darum, Selbstbewusstsein nach außen zu zeigen. Leistungssport erzeugt auch einen Sog für den Breitensport.

Herr Hesse, Herr Feldhoff, wie möglich ist denn Spitzensport aktuell in Remscheid?

Feldhoff Das kann gehen, wenn alles gut geht, wenn man immer ein bisschen Glück hat. Wir sind aber jetzt an einem Punkt, an dem es nicht mehr viel weiter nach unten geht. Wir krebsen derzeit herum. Der kleinste Gegenwind würde reichen, uns von der Klippe zu schubsen. Wenn wir Spitzensport etablieren wollen, werden wir etwas tun müssen. Das Bewusstsein muss sich verändern.

Hesse Ich sehe das genauso.

Der Rollhockey-Spitzensport wandelt also, etwas überspitzt gesagt, am Abgrund?

Feldhoff Wir verwenden 90 Prozent unserer Zeit darauf, Dinge zu tun, die nicht mit dem Sport zusammenhängen, sondern vor allem der Beschaffung von Finanzmitteln dienen. Das ist ein krasses Missverhältnis. Wir können unser Niveau zwar irgendwie halten, aber wir können es nicht entwickeln. Hesse Wir wenden einen höheren fünfstelligen Betrag für die erste Herrenmannschaft auf. Vor sieben oder acht Jahren hatten wir noch mehr als das Doppelte. Es wird immer schwieriger.

Nennen Sie doch mal Zahlen. Welchen Etat hat die Oberliga-Mannschaft der HG Remscheid?

Hesse Ich formuliere es mal so. Mit einem Etat von 110.000 Euro wären wir in dieser Saison aufgestiegen. Für einen Aufstieg in die Nordrhein-Liga müssten es 160.000 bis 175.000 Euro sein. Für die dritte Liga wären rund 270.000 Euro nötig.

Und davon sind sie meilenweit entfernt?

Hesse Daran ist gar nicht zu denken.

Wie sieht es bei der IGR Remscheid aus?

Feldhoff Der Bundesliga-Betrieb kostet im Jahr mit Reisekosten 35.000 bis 40.000 Euro im Jahr. Je nachdem, wie oft wir international spielen, kommen noch mal 5.000 bis 6.000 Euro dazu.

Sind denn die Etats gedeckt? Oder gehen sie mit einer kleinen Unterdeckung in die Saison und schauen dann, dass es hinkommt?

Hesse So ist es.

Feldhoff Sport ist immer ein ungedeckter Scheck. Wir haben gerade Rechnungen an unsere Sponsoren geschrieben, von 20 haben wir bisher zwei bezahlt bekommen. Wir hoffen immer, dass wir durchkommen, und in der Regel gelingt es.

Wie sehr nagt dieser Kampf an der Motivation? Kommt der Moment, an dem man die Dinge hinwerfen will?

Hesse Das kann ich mir permanent vorstellen. Aber ich habe Verantwortung für die HG, sie ist ein Kind von mir, und das lässt man nicht alleine.

Feldhoff Wenn sie das Jahr für Jahr immer wieder machen, dann zermürbt das. Dinge, die man früher gerne gemacht hat, fallen schwerer. Das könnte man durch einen ausreichenden Geldtopf sicher ein Stück weit kompensieren.

Wie könnte man das Geld generieren? Es geht ja nicht um utopische Summen.

Hesse Es liegt daran, dass sich viele nicht mit dem Sport identifizieren. Bei den größeren Firmen in der Stadt sitzen oft Geschäftsführer, die die Historie der Stadt und der Vereine nicht kennen. Das könnte auch ein Grund sein. Vielleicht liegt es auch an der Stadtspitze. Die könnte ihren "Töchtern" sagen, dass sie mithelfen, den Sport in der Stadt zu entwickeln. In vielen Städten wird so verfahren, um den Spitzensport zu fördern.

Damit liegt der Ball bei Ihnen, Herr Neuhaus. Was kann die Stadt tun?

Neuhaus Wir machen schon viel. In den nächsten Jahren investieren wird 25 Millionen Euro in Sportstätten. Das ist ein großer Schritt, wir wollen die Qualität der Sportstätten auf höchstem Niveau halten. Den betroffenen Vereinen hilft das alleine aber nicht weiter.

Und was kann die Stadt für die sportliche Qualität tun?

Neuhaus Kurzfristig werde ich mich als Fundraiser an den Bemühungen der Vereine um Sponsoren beteiligen. Es geht darum, dass die Unternehmen sehen, dass das auch für sie einen Nutzen hat, wenn man in den Leistungssport investiert. Dass es ihre Marke und ihren Standort unterstützt. Mittelfristig müssen wir überlegen, wie wir den Leistungssport mit einem umfassenden Konzept nach vorne bringen. Dazu brauchen wir auch Unterstützung vom Land. Düsseldorf hat so einen Masterplan.

Frage an die Vereine. Haben sie Vertrauen, dass das so funktioniert?

Feldhoff Dieser Hilferuf, den wir starten, ist ja ganz neu. Die Stadt verdient also Zeit. Ich bin aber gespannt, in welchem Zeithorizont man da greifbare Ergebnisse bekommt. Eins ist aber sicher: Die üblichen Rhythmen der Politik können wir nicht abwarten. Wir sind alle auf Kante genäht. Das geht eine Zeit lang gut, aber das geht nicht gut, wenn der Wind kälter wird. Dann fangen die Probleme richtig an. Wir müssen also zügig Ergebnisse sehen.

Hesse In den nächsten anderthalb Jahren muss eine klare Entscheidung da sein, ob wir Spitzensport in dieser Stadt brauchen oder nicht. Davon hängt auch ab, wie es für unsere beiden Vereine weiter geht. Wir haben Besseres zu tun, als für 500 Euro Sponsorengelder zwei Stunden Referate über Handball zu halten.

Wie könnte schnelle Hilfe funktionieren, Herr Neuhaus?

neuhaus Mein Versprechen gilt, ich werde an vorderster Front Fundraiser sein. Über ihre Budgets aber entscheiden die Unternehmen allein. Man muss sie also davon überzeugen, dass auch sie von der Förderung des Spitzensports profitieren. Das funktioniert in anderen Städte und bisher habe ich noch nicht verstanden, warum es in Remscheid nicht funktioniert.

Hesse Sponsoring heißt Geben und Nehmen, wir leben hier gerade von Mäzenatentum. Ein Beispiel, wie es geht: In Oldenburg spielen die EWE Baskets Oldenburg in der Basketball-Bundesliga. EWE ist ein heimisches Energieunternehmen, die sind der Hauptsponsor. Die machen das nicht, weil der Geschäftsführer früher mal Basketball gespielt hat, sondern weil sie eine Synergie daraus ziehen. Für Remscheid bedeutet das, dass man ein Paket mit den Stadtwerken schnüren könnte. Wir prüfen gerade, wie mit Hilfe eines Beratungsunternehmens Konzepte entwickeln werden können, die dann für Unternehmen in unserer Stadt attraktiv sind. Warum sollen nicht unsere Rollhockey-Spieler mit dem Logo der Kreishandwerkerschaft Remscheid aufs Feld gehen?

Können sich die Vereine da zusammentun?

Feldhoff Das könnte ein Weg sein. Aber da muss sich erst das Bewusstsein entwickeln, dass Spitzensport einen Wert darstellt. Niemand glaubt hier, dass er etwas davon hat, wenn er den Spitzensport fördert. Wir versuchen schon seit Jahren, einen Termin bei den Stadtwerken zu bekommen und haben noch nie eine Antwort erhalten.

Neuhaus Kooperation ist absolut sinnvoll bei diesem Thema. Wir müssen zusammen eine laute Stimme bilden.

Könnten Sie als Dezernent denn auf die städtischen Töchter einwirken?

Neuhaus Diese Unternehmen funktionieren autonom. Die Idee, dass man hingeht als Stadt und da Budgets bestellt, wird nicht funktionieren. Auch die Töchter müssen einen Mehrwert vom Sponsoring haben.

HENNING RÖSER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(RP)
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