Serie - Geschichte im Rheinland (2) Die Römer am Rhein

Sie kommen als Soldaten, als Händler, Handwerker und Bauern, und sie schaffen im Rheinland einige ihrer glänzendsten Kulturleistungen. Den größten Teil Germaniens aber bringen die Römer nicht unter Kontrolle.

Ihre Herrschaft am linken Rheinufer dauert ein halbes Jahrtausend — und ist viel mehr als nur die Geschichte von Eroberung und Vertreibung.

Düsseldorf Jenseits des Flusses hausen sie, auf dem rechten Ufer: mordlustige Barbaren, wild, undurchsichtig und verlogen. Drüben herrscht Chaos, hier Ordnung. Dort wimmeln germanische Horden, hier wirken römische Bürger. So schildern es die römischen Autoren um Christi Geburt, so feiert es die römische Propaganda auf Münzen und in Inschriften. Die Cäsaren lassen sich als Sieger preisen. "Wer fürchtet wohl die grässliche Brut, die Germanien aufzieht, da doch der Kaiser unversehrt ist?", jubelt Horaz dem Augustus zu.

Mehr als hundert Jahre lang geht das so — ohne dass Großgermanien, das Gebiet zwischen Rhein, Donau und Elbe, von den Römern unterworfen werden kann. "So lange schon siegt man über Germanien", spottet Tacitus zu Beginn des 2. Jahrhunderts: "Noch in jüngster Vergangenheit hat man Siege über die Germanen mehr gefeiert als errungen." Für ihn sind die Germanen edle Wilde, unbefleckt von römischer Dekadenz. Getrennt sind die beiden Welten nur durch ein Band aus Wasser: den Rhein.

Die Geschichte der Römerzeit am Rhein ist die Geschichte eines zweigeteilten Landstrichs. Für mehr als 400 Jahre bleibt der Rhein Demarkationslinie. Gaius Iulius Caesar ist um 50 vor Christus der erste, der römische Soldaten ans Rheinufer führt. Obwohl Caesars Vorstöße nur der Flankensicherung seines Gallien-Feldzugs dienen, schiebt er Roms Grenze bis an den Rhein vor. Das linke Rheinufer wird römisch.

Während der nächsten Jahrzehnte sind die Römer vor allem damit beschäftigt, sich gegenseitig umzubringen — es herrscht Bürgerkrieg im Reich. Am Ende steht der junge Octavian als Sieger da. Unter dem Namen Augustus macht er sich auf, als Alleinherrscher das Reich nicht nur zu regieren, sondern auch auszudehnen.

Sein Ziel: wohl die Eroberung ganz Germaniens. Des Kaisers Schwiegersohn Agrippa, die Stiefsöhne Drusus und Tiberius und der Stiefenkel Germanicus stoßen bis zur Elbe vor. Um Christi Geburt, bilanziert der Geschichtsschreiber Velleius Paterculus, habe Germanien "den Charakter einer fast schon tributpflichtigen Provinz" gehabt. Augustus scheint am Ziel.

Umso schockierender ist die Katastrophe. 9 nach Christus macht wahrscheinlich im Osnabrücker Land der Cheruskerfürst Arminius drei römische Legionen mitsamt dem Statthalter Quinctilius Varus nieder, 20 000 Römer sterben. Der Schreckensruf des Augustus "Varus, gib mir meine Legionen wieder!" gellt bis heute durch die Geschichte. Geboren ist ein deutscher Nationalmythos. Der Rhein bleibt Grenze, das Rheinland teils frei, aber unzivilisiert, teils römisch. Eine ernsthafte Gefahr sind die Germanen für die Römer aber nicht — noch nicht. Denn auf einen einzigen Anführer können sich die zerstrittenen Stämme nie einigen.

Die Römer entfalten derweil auf dem linken Ufer ihr ganzes zivilisatorisches Können: Straßen werden angelegt, Städte gegründet, Häfen und Bergwerke gebaut, der Handel blüht. Mit den Soldaten kommen Handwerker. Nahe dem heutigen Xanten entstehen die Castra Vetera, die zur Mitte des 1. Jahrhunderts das größte bekannte Doppellegionslager des Imperiums sind. Einige Jahrzehnte später wird Kaiser Trajan nahebei die Colonia Ulpia errichten: ein Abbild Roms am Rande des römischen Erdkreises, mit Thermen, Tempeln und Amphitheater. An der Mündung der Erft in den Rhein besteht schon seit der Zeit um Christi Geburt ein weiteres Lager: Novaesium, Neuss. Hilfslager säumen das ganze linke Rheinufer.

Die größte und glänzendste Leistung der römischen Planer aber ist die Colonia Claudia Ara Agrippinensium, kurz CCAA genannt: Köln. Eine Siedlung des Stamms der Ubier wird von den Römern zur Stadt erhoben. 89 nach Christus macht Kaiser Domitian den linksrheinischen Militärbezirk zur Provinz Niedergermanien; die CCAA wird ihre Hauptstadt. Ihr Wasser bezieht sie auch über eine 100 Kilometer lange Leitung aus der Eifel.

Das Zivilisationsgefälle zwischen dem linken und dem rechten Rheinufer ist gewaltig. Den planmäßig angelegten Handels- und Garnisonsstädten liegen finstere Gehöfte tief im Urwald gegenüber. Kein Wunder, dass ein Sog entsteht, der einerseits ein Segen für das römische Grenzland ist, der sich aber andererseits auf lange Sicht zum Fluch entwickelt. Denn die Germanen wollen am römischen Wohlstand teilhaben — sei es durch Handel, sei es durch Raubzüge.

Der Aufstand von 69/70 ist ein erster Vorgeschmack. Römische Thronwirren ausnutzend, überschreiten die Germanen den Rhein. Überall brennen die Militärlager, auch das große Vetera. Der Hass gegen die Römer entlädt sich in Massakern. Ein Viertel des Reichsheeres rückt an, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Auch weil der neue Kaiser Vespasian einen maßvollen Frieden mit den besiegten Aufständischen schließt, gelingt es Rom, die Lage für die nächsten 200 Jahre ruhig zu halten.

Das ändert sich im 3. Jahrhundert. Ein Massengrab in Krefeld-Gellep, nahe dem römischen Kastell Gelduba, bezeugt, wie unsicher das Leben im Grenzland zu dieser Zeit schon ist. Männer, Frauen und Kinder sind dort umgebracht worden — wohl von Franken, die vom rechten Ufer auf römisches Gebiet vorgedrungen waren.

Was folgt, sind Schläge und Gegenschläge: Einfälle der Germanen ziehen Vergeltungsfeldzüge der Römer nach sich. Rom erkauft sich Frieden durch Tribute an die Stammesfürsten, siedelt auch Germanen auf eigenem Gebiet an. Mit der Wirtschaft aber geht es jetzt bergab. Die verängstigten Bewohner vergraben ihre Münzen, um sie vor den Barbaren zu retten, und umgeben ihre Städte mit neuen, höheren Mauern. Vor allem die einst gut organisierte Landwirtschaft erholt sich von diesen Wirren nicht.

Eine geschlossene Postenkette gibt es seit dem Ende des 3. Jahrhunderts am Niederrhein nicht mehr. Und doch dauert es noch einmal fast 200 Jahre, bis Roms Macht am Rhein endgültig zusammenbricht. Getrieben vom Druck der einwandernden Völker aus dem Osten, beenden schließlich die Franken ein halbes Jahrtausend römischer Herrschaft. Die neuen Herren können mit der römischen Stadtkultur zunächst nicht viel anfangen — Siedlungen schrumpfen und verfallen. So entsetzt sich etwa der Kirchenvater Salvian um das Jahr 450: "Man spielt nicht mehr in Köln, die Stadt ist voller Feinde. Man kann nicht mehr vor lauter Armseligkeit und Elend der Zeit!"

Was bleibt also von den Römern am Rhein? Die Erinnerung an Jahrhunderte der Besatzung? An frech gewordene Südländer, die durch teutonische Tapferkeit mit viel Simserim und Schnäderätäng vertrieben wurden? Viel mehr. Denn die Geschichte der Römer am Rhein ist komplizierter. Sie ist auch die Geschichte von gegenseitigem Austausch, von Germanisierung und Romanisierung, von Verschmelzung. Selbst im Tod: In den fränkischen Gräbern von Gellep hat man römischen Glasschmuck gefunden.

Römische Ideen werden erst mit Verzögerung unter den Germanen wirkmächtig, dann aber mit umso gewaltigeren Folgen. Dreieinhalb Jahrhunderte nach der Eroberung Kölns durch die Franken lässt sich der Franke Karl in Rom die römische Kaiserkrone aufs Haupt setzen. Nun ziehen nicht mehr die Römer nach Germanien, sondern die Germanen nach Rom.

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