Rhein-Kreis Neuss Die Zukunft liegt im Handwerk

Rhein-Kreis Neuss · Am 1. August startet das neue Ausbildungsjahr. Für viele kleine und mittelständische Unternehmen wird es immer schwieriger, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Große Firmen wie 3M dagegen haben gleich 70 Azubis, die anfangen.

Im ersten Lehrjahr geht Thomas Puppe noch ganz behutsam mit seinen Auszubildenden um, sie müssen nicht vor 6 Uhr morgens in der Backstube stehen. "Danach erwarte ich sie schon um 2 Uhr", sagt der Bäckermeister aus Neuss. Das frühe Aufstehen sei nicht beliebt bei den Jugendlichen, weiß Puppe. Der Vorteil: "Wir sind die ersten, die ins Schwimmbad können." Um Bäcker-Lehrlinge zu finden, muss Thomas Puppe kräftig die Werbetrommel rühren, in Schulen zum Beispiel, und das wird von Jahr zu Jahr aufwändiger.

Zum 1. August sollen im Verkauf zwei neue Azubis anfangen, in der Backstube ein Bäcker und eine Konditorin. "Obwohl ich lieber zwei Bäcker gehabt hätte", sagt Puppe. Aber aus den 15 Bewerbern habe sich nur einer wirklich geeignet, zu diesem Ergebnis kam Puppe schließlich beim Probearbeiten, zu dem er immer einlädt, bevor er einen Vertrag abschließt. Was viele nicht wissen: "Der Beruf des Bäckers ist nahezu krisensicher, die Zukunftsperspektive gut", sagt Puppe. "Überhaupt haben junge Menschen tolle Karrieremöglichkeiten im Handwerk", ergänzt Georg Maria Balsen von der Kreishandwerkerschaft.

Willi Schillings, Obermeister der Fleischerinnung im Rhein-Kreis, konnte vor 30 Jahren noch zwei Parallelklassen mit mindestens 25 Azubis pro Klasse füllen. "In diesem Jahr haben wir nur noch elf oder zwölf Lehrlinge losgesprochen", sagt Schillings, der diese Entwicklung nicht so recht versteht. "Unser Beruf ist doch so vielschichtig", findet er.

Nicht nur Betriebe sind noch auf der Suche, es gibt auch noch unversorgte Bewerber. Bei der Bundesagentur für Arbeit waren im Rhein-Kreis Neuss im Juni 773 unbesetzte Ausbildungsplätze gemeldet, 970 Jugendliche und junge Erwachsene hatten noch keinen Vertrag unterzeichnet. Darunter gab es sogar noch beliebte Stellen im Einzelhandel oder Gesundheitswesen, in der Lagerlogistik, vereinzelt auch im IT-Bereich. "Alle, die jetzt noch nichts gefunden haben, sollten sich die Frage stellen, ob es auch eine Alternative zum Traumjob gibt", sagt Petra Pigerl-Radtke von der Industrie- und Handelskammer (IHK). Auch kleine und mittelständische Unternehmen in Randlagen hätten oft noch Plätze frei. Ein Patentrezept für eine erfolgreiche Bewerbung gibt es zwar nicht, "aber es kann hilfreich sein, wenn man seine Unterlagen persönlich im Unternehmen vorbeibringt", sagt Pigerl-Radtke. Wer zum 1. August oder zum 1. September noch immer kein Glück hatte auf dem Ausbildungsmarkt, der sollte trotzdem dranbleiben, rät die Expertin von der IHK: "Im Herbst gibt es immer eine Nachvermittlungsphase, weil nicht jede Stelle angetreten wird."

Bei Zülow - Daten- und Elektrotechnik werden neben zwei Kaufleuten für Bürokommunikation fünf angehende Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik in diesem Sommer eingestellt, "vielleicht sogar sechs", sagt David Zülow. So viele seien es in den vergangenen Jahren nie gewesen, "weil die Qualität der Bewerber schlicht nicht da war", sagt der Unternehmer. Das liege nicht an den Jugendlichen, die durchaus Lust hätten zu lernen und eine Ausbildung zu machen. David Zülow schiebt den Schwarzen Peter den Schulen zu, Düsseldorf, der Bildungspolitik. "Erdkunde und Geschichte sind wichtig, aber wer die Grundlagen in Mathe nicht beherrscht, der kann auch nicht Elektriker werden", sagt er. Von der schlechten Rechtschreibung in vielen Bewerbungsunterlagen will er gar nicht erst anfangen, "da braucht man ein dickes Fell", sagt der Chef. Und würde David Zülow auf die Noten achten, "dann könnte ich anstatt sechs nur zwei Lehrlinge einstellen".

Kritik an der Qualität der Bewerber hat auch Raimund Franzen von der Sparkasse in Neuss. Die Ausbildung in der Bank sei nach wie vor ein beliebtes Berufsziel, "die Fähigkeiten in Deutsch und Mathe haben aber merklich nachgelassen", sagt Franzen. 13 Auszubildende werden bald anfangen, "wir hätten auch gerne mehr eingestellt", sagt Franzen.

Ganz anders sieht das bei 3M aus. Beim amerikanischen Multitechnologiekonzern beginnen knapp 70 junge Menschen an insgesamt 14 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zum 1. September mit ihrer Ausbildung. Vier kaufmännische und 13 gewerblich-technische Ausbildungsberufe können dort erlernt werden.

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort