Rhein-Kreis Neuss "Gleichgültigkeit ist schädlich für die Demokratie"

Neuss · Kreistagsmitglied Hans-Ulrich Klose (CDU) - ein "politisches Urgestein" - sprach auf dem NGZ-Sofa mit Redaktionsleiter Ludger Baten.

 Hans-Ulrich Klose (CDU) saß 39 Jahre im NRW-Landtag.

Hans-Ulrich Klose (CDU) saß 39 Jahre im NRW-Landtag.

Foto: Hammer

Herr Dr. Klose, mit Bodo Ramelow wurde jetzt in Thüringen der erste linke Ministerpräsident eines Bundeslandes vereidigt: Versetzt das Ihrem Herzen einen Stich?

Hans-Ulrich Klose Einen Stich spüre ich, überrascht bin ich nicht. Mir ist aber unverständlich, dass die SPD als älteste demokratische Partei in Deutschland, die verfolgt wurde, diese Regierung unterstützt.

Muss man nicht differenzieren zwischen SED, PDS und der Linken?

Klose Die SED wurde nicht aufgelöst, sondern nur mehrfach umbenannt. Das war das Meisterwerk von Gysi, der so das Partei-Vermögen der SED gerettet hat. Anfangs hielt ich es für unwahrscheinlich, dass eine Partei links der SPD in Deutschland regieren könnte. Im Westen ist es aufgrund der Wählerschaft bislang nicht geglückt. Aber die Linke wird es immer wieder versuchen.

Nun lassen sich 28,2 Prozent der Wählerstimmen in Thüringen für die Linke nicht wegdiskutieren. Was ist die Alternative: flächendeckend eine große Koalition?

Klose Zeitweilig werden wir die in Kauf nehmen müssen. Aber das ist natürlich kein Dauerzustand. Allerdings hat die große Koalition gerade im vergangenen Jahr meiner Meinung nach eine Menge guter Entscheidungen zustande gebracht.

Sie sind als 17-Jähriger in die Ost-CDU eingetreten - wie kam es dazu?

Klose Im Mai 1952 wurde ich zum SED-Parteisekretär der Schule bestellt, der mir vorschlug, mich als Kandidat für die SED zu bewerben. Als bekennender evangelischer Christ wollte ich das nicht. Was sollte ich tun? Mich nach West-Berlin absetzen? Nicht in die SED eintreten und riskieren, das Abitur nicht zu bestehen? Tags drauf sprach mich meine Chemie-Lehrerin an, ob ich nicht der CDU beitreten wolle. Das war die Lösung: Man galt nicht als Staatsfeind, hätte aber auch so gut wie keine Aufstiegschancen gehabt.

Wie gerieten Sie dann mit dem DDR-Regime in Konflikt?

klose Als Mitglied der CDU wurde ich vom Parteivorstand der CDU in Falkensee gebeten, mit der West-Berliner CDU in Verbindung zu treten und über die politische Entwicklung zu beraten. Dies wurde 1956 verraten, am Morgen des 9. März 1956 wurde ich verhaftet.

Gab es eine Gerichtsverhandlung?

Klose Ja, nachdem mich die Staatssicherheit zwei Monate lang unter psychischem Terror verhört hatte, wurde im Juni in einem Schauprozess vor dem Bezirksgericht Potsdam verhandelt. Ich bekam dann wegen angeblicher Spionage und Kriegsvorbereitung ein Jahr Zuchthaus. Nach meiner Entlassung bin ich direkt vom Knast aus mit der S-Bahn nach West-Berlin gefahren.

Hatten Sie danach nicht die Nase voll von der Politik?

Klose Nach dem verlorenen Jahr wollte ich mich eigentlich nicht mehr politisch betätigen. Ich war Fußball-Schiedsrichter und wollte diesen Sport auch fortsetzen. Als ich nach Korschenbroich kam und am ersten Sonntag ein Heimspiel des VFB besuchte, verstand ich kein Wort, weil alle Platt sprachen. Ich fühlte mich wie im Ausland. Daraufhin bin ich bei der CDU aktiv geworden. Allerdings hat mir die Haft auch deutlich gemacht, dass ich in einem System leben möchte, in dem ich frei wählen und politisch mitgestalten kann.

Haben Sie immer an die deutsche Einheit geglaubt?

Klose Ich war immer überzeugt, dass es eines Tages zur deutschen Wiedervereinigung kommen würde, aber niemand wusste, wann. Noch wenige Tage vor dem Mauerfall habe ich Leipzig und Dresden besucht. Da konnte sich niemand vorstellen, was kurz darauf geschehen würde.

Ist Deutschland wiedervereinigt, oder ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen?

Klose Das muss man differenziert betrachten. Bei einer Reise im Frühjahr 1988 konnte ich sehen, dass die DDR vor dem äußeren Zusammenbruch stand. Im Vergleich dazu existieren dort heute blühende Landschaften. Da sich aber in der DDR nie ein demokratisches Lebensgefühl entwickeln konnte, dauert es lange, bis die Demokratie im Bewusstsein der Menschen unumstößlich verankert ist. Aber ich bin davon überzeugt, dass Deutschland weiter zusammenwachsen wird. In den Köpfen der jüngeren Generation gibt es heute keine Grenze mehr.

Sollten wir im Westen uns mehr mit der Geschichte der Ostdeutschen und ihrer enormen Anpassungsleistung beschäftigen?

Klose Eine Schwierigkeit ist, dass die Nachkriegsgeschichte Deutschlands in den Schulen unzureichend oder gar nicht behandelt wird, Namen wie Adenauer und Honecker sind den Jugendlichen weitgehend unbekannt. Nie gab es einen deutschen Staat, der so freiheitlich ist wie der heutige. Aber das wird nicht genug geschätzt. Mir ist beispielsweise unbegreiflich, dass so viele Menschen nicht zur Wahl gehen. Diese Haltung der Gleichgültigkeit ist schädlich für die Demokratie.

SUSANNE NIEMÖHLMANN FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN

(NGZ)
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