Rhein-Kreis Neuss Jürgen Rüttgers fordert mehr Mut

Rhein-Kreis Neuss · Die CDU im Rhein-Kreis stimmt sich auf das Wahljahr ein und erinnerte dazu an "70 Jahre CDU-Landtagsfraktion". Festredner war der ehemalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der lieber über eine Neujustierung der Politik sprach.

 Der CDU-Kreisvorsitzende Lutz Lienenkämper hatte Jürgen Rüttgers und die ehemaligen Landtagsabgeordneten Hans-Ulrich Klose und Heinz Günther Hüsch (v.l.) eingeladen.

Der CDU-Kreisvorsitzende Lutz Lienenkämper hatte Jürgen Rüttgers und die ehemaligen Landtagsabgeordneten Hans-Ulrich Klose und Heinz Günther Hüsch (v.l.) eingeladen.

Foto: G. Salzburg

Positionsbestimmung vor einem wichtigen Wahljahr. Die CDU wählte dazu den Blick zurück, als sie am Mittwochabend im Zeughaus an "70 Jahre CDU-Landtagsfraktion" erinnerte und Zeitzeugen befragte. Doch die Erinnerung an 22 Jahre Regierungsverantwortung und 37 Jahre, in denen die Union die stärkste Fraktion im Landtag bilden konnte, wärmt vielleicht die CDU-Seele in unwirtlichen Zeiten - trägt aber nicht weit. Das machte Jürgen Rüttgers deutlich, der nach einer Neujustierung der Politik verlangte.

Alte Gewissheiten helfen nicht mehr: Das machte der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident und langjährige Fraktionsvorsitzende im Landtag sehr deutlich. Es gebe keine tragenden Milieus mehr und auch keine Stammwähler, sagte Rüttgers, für den auch die Lagerbildung - hier "bürgerlich" dort "links" - als Ordnungsprinzip ausgedient hat. Was also tun in einer Situation, in der die Parteien landauf landab als, so Rüttgers, "übermächtig und überfordert" angesehen werden - mit der Folge schwindenden Vertrauens in der Bevölkerung?

"Es bedarf nach politischen Leitentscheidungen, die über die Tagespolitik hinausgehen", sagte Rüttgers knapp. Politik müsse in einer, so wörtlich, "entgrenzten Welt" die Bedeutung von Freiheit und Gerechtigkeit neu definieren, das Verhältnis von "national und global" neu ausbalancieren und auch das von Staat und Markt - nachdem die Wirtschaftskrise von 2008 und die dieser zugrundeliegenden Gier der Spekulanten die "Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft auf das Tiefste diskriminiert hat".

Ein ganz schönes Päckchen, das Rüttgers da schnürte. Aber es müsse sein. Einmal, weil er glaubt, feststellen zu können, dass "die Parteien unter einer programmatischen Austrocknung leiden". Zum anderen, weil die Revolution von 1989, die mit der Wiedervereinigung Deutschlands auch die Wiedervereinigung Europas gebracht hat, von den politischen Konzepten noch nicht in ihrer ganzen Dimension erfasst wird.

Revolution und Neuanfang führten Rüttgers dann doch zum Thema des Abends, dem demokratischen Neubeginn in Nordrhein-Westfalen vor genau 70 Jahren - und zu Konrad Adenauer. Den späteren Bundeskanzler - auch als erster CDU-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag schon gleichermaßen ein "Ämteranhäufer" wie großer politischer Denker - befreite Rüttgers von dem Vorwurf einer restaurativen Politik. Die Eckpunkte künftiger CDU-Politik, die Adenauer schon in einer Rede vom 1. März 1946 umriss, nannte Rüttgers "ein revolutionäres Programm": Das Individuum sollte vor dem Staat stehen, die Wirtschaft dem Menschen dienen, die Politik sich nicht mehr an Rasse, Klasse oder Nation orientieren - und die Demokratisierung alle Lebensbereiche erfassen. Letzteres, so rügte Rüttgers, habe auch die CDU lange aus den Augen verloren.

Auf dieser Basis gestaltete die CDU Landespolitik nicht nur mit, auch wenn das nicht immer einfach war. Hans-Ulrich Klose, mit 39 Jahren im Landtag dienstältester Parlamentarier Nordrhein-Westfalens, drückte wie Heinz Günther Hüsch bis auf wenige Monate nur die harte Bank der Opposition. Ohne Einfluss und erfolglos blieben er und seine CDU trotzdem nicht. Als die Union nach all den Jahren 2005 in Regierungsverantwortung kam, schlug die Stunde von Lutz Lienenkämper MdL, der als einziger Christdemokrat im Rhein-Kreis den Titel "Minister a.D." vorweisen kann. Er nannte die Zeit der Rüttgers-Administration "fünf gute Jahre" und hofft, dass die Landtagswahlen im Mai vielleicht wieder zu anderen Mehrheiten führen - zumindest aber zu drei CDU-Landtagsabgeordneten aus dem Rhein-Kreis. Jörg Geerlings (Neuss), nur in den Jahren der rot-grünen Minderheitsregierung von 2010-2012 im Landtag, wäre dann wieder dabei, und mit Heike Troles (Grevenbroich) eine Neueinsteigerin. Sie wäre die erste Parlamentarierin aus dem Kreis - in 70 Jahren CDU im Landtag.

(-nau)
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