Rhein-Kreis Neuss Lebensrettung via Telefon

Rhein-Kreis Neuss · Die Leitstelle des Kreises nimmt nicht nur Notrufe an. Sie hilft dem Anrufer auch, sofort mit der Reanimation zu beginnen.

 Technik im Wert von zwei Millionen Euro steht Christoph Müller zur Verfügung. Kommunikationsprobleme mit dem Anrufer löst sie nicht.

Technik im Wert von zwei Millionen Euro steht Christoph Müller zur Verfügung. Kommunikationsprobleme mit dem Anrufer löst sie nicht.

Foto: A. Woitschützke

"Wir bleiben bei Ihnen": Unübersehbar groß flimmert der Satz auf dem Bildschirm von Christoph Müller. Er ist Gedächtnisstütze für ein Versprechen, das der Mitarbeiter der Kreisleitstelle in vier Monaten Weiterbildung und regelmäßigen Trainings ohnehin verinnerlicht hat. "Wir bleiben bei Ihnen" markiert einen neuen Ansatz bei der Rettung von Schlaganfall- und Infarktpatienten und ist untrennbar mit dem Satz verbunden: "Bleiben Sie beim Patienten."

 Thomas Dilbens und Christoph Müller (r.) können ihre Instruktionen vom Computer ablesen. Aber inzwischen haben sie das Fragenschema verinnerlicht.

Thomas Dilbens und Christoph Müller (r.) können ihre Instruktionen vom Computer ablesen. Aber inzwischen haben sie das Fragenschema verinnerlicht.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden Notrufe in der Rettungswache am Neusser Hammfelddamm angenommen und - wenn die Schlüsselfragen nach Ort, Umständen und Zustand des Patienten geklärt waren - Notarzt und Rettungswagen in Marsch gesetzt. "Danach haben wird dann aufgelegt", sagt Thomas Dilbens, der seit zwölf Jahren die Leitstelle führt. Zurück blieben der Patient und ein mit der Situation oft überforderter Alarmgeber, der die Wartezeit bis zum Eintreffen der "Weißen Flotte", wie Dilbens die Krankenwagen auch nennt, untätig abwartet - und diese Minuten auch deshalb nicht selten unerträglich lang fand.

Das hat sich geändert. Nun wird die intervallfreie Zeit, wie Dilbens diese Minuten zwischen Alarm und Eintreffen des RTW nennt, aktiv zur Reanimation genutzt. In diesen acht Minuten - auf dem Land dürfen es zwölf werden - führt der Alarmgeber aus, was ihm der Leitstellenmitarbeiter am Telefon Schritt für Schritt vorgibt. Der nämlich ist ausgebildeter Rettungsassistent und Feuerwehrmann. "Das Gut, das wir auf der anderen Seite erhalten wollen, lässt nichts anderes zu", sagt Dilbens. Denn die Zeit arbeitet immer gegen den Patienten.

Ein Alarmruf geht ein. Eine Frau ist am Telefon. Aufgeregt ist sie. Was sie sagen möchte, sprudelt nur so aus ihr heraus, hastig, unkoordiniert. Fast barsch blafft Müller nach ein paar Sekunden dazwischen. "In welcher Stadt sind Sie?" Er muss der Sache Struktur geben, denn in höchstens 90 Sekunden muss er ermittelt haben, welche Art von Notfall vorliegt und welches Rettungsmittel er ausrücken lassen muss. Also reißt er das Gespräch förmlich an sich. "Wir fragen, Sie antworten", erklärt er die Spielregeln. Müller weiß, dass die Frau in einer Ausnahmesituation ist, deswegen würde er selbst Beschimpfungen höflich überhören. Aber er muss schnell zu einem Ergebnis kommen. Technik für zwei Millionen Euro steht ihm zur Verfügung, aber was hilft das, wenn die Kommunikation hakt?

Die "strukturierte Abfrage" ist sein "Gegenmittel". Der Frage nach der Stadt folgt rasch die nach der Telefonnummer der Anruferin. Die könnte er auch anders ermitteln, aber er will die Frau einfangen, irgendwie "runter kriegen". "Sie soll sich sicher und gut aufgehoben fühlen", sagt Müller. Drei Fragen später weiß er, dass kein Brand zu löschen, sondern ein Menschenleben zu retten ist. Der Einsatzbefehl an den RTW geht raus - und jetzt macht Müller die Anruferin zur Lebensretterin. "Wir weisen keine Mund.zu-Mund-Beatmung mehr an", sagt Dilbens, denn der Restsauerstoff im Blut reiche aus, um die Zeit bis zum Eintreffen der Sanitäter zu überbrücken. Aber das Blut muss zirkulieren. "Stellen Sie Ihr Handy auf laut und legen Sie den Patienten auf einen festen Untergrund", ist deshalb die erste Anweisung an die Frau. Wenn in der Nähe des Unfallortes ein Defibrillator gemeldet wäre, würde Müller ihn jetzt holen lassen. Aber der ist nicht in Reichweite, also muss die Frau neben dem Patienten die Herzdruckmassage leisten.

Den Takt gibt ihr Christoph Müller vor. Ende nächsten Jahres soll diese Frequenz aus dem Computer kommen und direkt auf das Telefon des Ersthelfers übertragen werden. Die Software dazu ist in Arbeit, sagt Dilbens. Mit seiner optimierten Notrufabfrage und den dazu im Computer hinterlegten Fragebögen, die Lothar Tetard als Ausbildungsleiter der Leistelle mit einem Wiesbadener Büro erarbeitet und alltagstauglich gemacht hat, sei die Leitstelle im Rhein-Kreis schon jetzt führend in NRW, sagt Dilbens stolz. Aber es gebe ja nichts, was nichts verbessert werden könnte. "Wir gewinnen nicht immer, aber ziemlich oft", sagt Dilbens. Und als sich das RTW-Team vom Einsatzort aus auf der Leistelle meldet, weiß Dilbens: Das sieht nach einem Sieg aus.

(-nau)
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