"The Work" von Byron Katie sorgte für rege Diskussionen Lehre "mit sektenhaften Ansätzen"

Von Peter Böttner

"Es gab kein Ich. Es war so, als sei etwas anderes aufgewacht. Es öffnete seine Augen. Es schaute durch Katies Augen." Nein, dies ist nicht der Prolog zu einer neuen "Akte X"-Staffel, sondern nachzulesen auf der Internetseite von Byron Katie. Von tiefen Depressionen gezeichnet, wacht Katie (an einem Morgen 1986) mit einer komplett neuen Sichtweise ihres Lebens auf und entwickelt eine Methode, mit der scheinbar alle Alltagsprobleme lösbar werden: "The Work".

Uwe Nerstheimer, Lehrer am Humboldt-Gymnasium, hat mit Schülern der Klassen 9 bis 12 über "The Work" diskutiert und seine Erfahrungen weitergegeben. Dabei kamen beispielsweise Sarah Clausen und Oya Kuyas aus dem Experiment, Konflikte zu klären, zu völlig differenzierten Meinungen.

Woher Byron Katie ihre Erkenntnisse gewonnen hat, dass bleibt - zumindest auf ihrer Internetseite - das wohlgehütete Geheimnis der Amerikanerin. Wer mehr über das Leben von Byron Katie wissen möchte, hat die einmalige Gelegenheit, sie auf ihren Seminaren zu besuchen. Das dabei ein Unkostenbeitrag von immerhin rund 200 Dollar fällig ist, wird dem Interessierten fairerweise direkt mitgeteilt.

Seit einiger Zeit hat Byron Katie Europa als potenzielle Zielgruppe ausgemacht und auch im Kreis Neuss schon Verfechter ihrer Lehre gefunden. Uwe Nerstheimer ist Lehrer am Humboldt-Gymnasium. In seinem privatem Umfeld ist "The Work", "ein oft genutztes Mittel, um beispielsweise Kommunikationsprobleme und persönliche Differenzen aus dem Weg zu räumen". Nun hat Nerstheimer, in einem vierstündigen Experiment, seine persönlichen Erfahrungen an Schüler der Klassen 9 bis 12 weitergegeben.

Ein Experiment, dass zumindest etliche Fragen aufwirft. Der Grundgedanke von "The Work": "Es ist hoffnungslos, die Realität anders haben zu wollen, als sie ist". Dabei soll der Nutzer jedoch nicht in Passivität verfallen, sondern - wenn möglich - seine eigenen Ressourcen, sein Wissen und sein Können, nutzen. "The Work" spricht von Konzepten, in die der Mensch sein Handeln gliedert.

Ein Beispiel aus dem Schulalltag: Mein Lehrer sollte mir eine bessere Note geben. Der Schüler übersieht aber, dass er real keine bessere Note bekommen wird und versteift sich auf seine Meinung. Er erkennt nicht seine eigene Möglichkeit, besser zu werden. "Solche Verhaltensmuster begrenzen und limitieren die eigenen Ressourcen. Mit ,The Work' erkennt man die Eigenverantwortung und beginnt vernünftig zu handeln", erklärt Uwe Nerstheimer.

Seine Schüler mussten zu Beginn des Projektes Konzepte entwickeln, die ihr Leben bestimmen. Danach galt es, diese Konzepte zu löschen. "Man sollte darüber nachdenken, brauche ich dieses Konzept und warum lasse ich es nicht einfach fallen. Lebe ich dann nicht viel stressfreier", verdeutlicht Nerstheimer. Doch ist dieser Prozess wirklich überall anwendbar?

"Genau diese Aber-Fragen machen die Idee kaputt", meint Nerstheimer. Aus diesem Grund ließ er das Projekt von einem erfahrenen Leiter betreuen, der im "The Work"-Mutterland einige Erfahrungen sammelte. "Wilfried Jeltsch hat diese Aber-Fragen unterdrückt, um das Projekt durchzuziehen." Von einer Unterdrückung anderer Schülermeinungen könne jedoch keine Rede sein, die Projektidee sollte einfach verinnerlicht werden, so Nerstheimer weiter.

Unter den Schülern waren auch Sarah Clausen (20) und Oya Kuyas (16), die beide ohne Vorbelastung in das Experiment gingen und nun doch differenzierte Meinungen haben. "Ich glaube nicht, dass man ,The Work' überall anwenden kann. Dafür ist es viel zu kompliziert und viele Situation einfach zu spontan", gibt sich Oya Kuyas skeptisch. Bei ihr scheint "The Work" auf weniger Verständnis getroffen zu sein, denn bereits bei einer kleinen Nachfrage, wie sie denn einen typischen Konflikt mit ihren Eltern an Hand der erlernten Methode klären würde, musste Sarah Clausen ihr helfen.

Die angehende Abiturientin ist weitaus überzeugter und sieht auch in ihrem privaten Umfeld eine Chance für "The Work": "Das ganze Leben wird lockerer. Die Aggressivität lässt nach und man begegnet Konflikten sehr viel enspannter, da ich die Schuld nicht mehr nur beim Gegenüber suche." Uwe Nerstheimer sieht in dem Projekt einen klaren Erfolg. Selbst den Verlust einer Schülerin, die den Konflikt mit einem Lehrer nicht lösen konnte und mittlerweile die Schule verlassen hat, kommentiert Nerstheimer sehr gelassen: "Sie ist wieder aktiv geworden und hat ihre Realität in die Hand genommen."

Zumindest eine merkwürdige Auslegung, denn "The Work" sieht eigentlich keine Flucht vor Konflikten vor. Auch die dubiose Internetseite wiegelt Nerstheimer "als typische amerikanisch ab", räumt aber "sektenhafte Ansätze ein", die jedoch nur auf das Internetdesign zurückzuführen seien. Nerstheimer distanziert sich außerdem von den Geldforderungen der amerikanischen Internetseite. "Ich brauche keinen Guru von außerhalb, und die Teilnahme bei mir war nahezu kostenfrei."

Dennoch - ein fader Beigeschmack bleibt. In einem, von Uwe Nerstheimer erstelltem, Informationsblatt heißt es: "In der Zusammenschau lässt sich sagen, dass das (...) Pilotprojekt einen vollen Erfolg darstellt und es wert ist, fortgesetzt zu werden. Dazu müssten folgende Bedingungen erfüllt sein: Sicherstellung der finanziellen Aufwendungen (Kosten pro Seminar mit externem Leiter, das heißt Honorar und Materialaufwand, etwa. 200 Euro)."

Auch Schulleiter Björn Abramson gibt dem Projekt "Byron Katie" nur bedingt Rückendeckung: "Ich stehe solchen Projekten sehr kritisch gegenüber. Ich kann mich aber nicht generell gegen diese Experimente stellen, da sie auch immer einen gewissen Erfahrungswert haben."

Von einer Wiederholung nimmt der Pädagoge aber Abstand. "Ich denke, dass man es bei diesem Versuch belassen sollte. Es ist, bei dieser Art pädagogischer Projekte, nie genau absehbar, welche Gruppierung dahinter steckt."

(NGZ)
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