Rhein-Kreis Neuss Perfekte Symbiose aus Landwirtschaft und Kunst

Rhein-Kreis Neuss · Das Kulturzentrum Sinsteden feiert dieses Jahr 20-jähriges Bestehen. Fast genauso lange ist Kathrin Wappenschmidt Museums-Leiterin.

Rhein-Kreis Neuss: Perfekte Symbiose aus Landwirtschaft und Kunst
Foto: Hammer, Linda (lh)

Was vor einem Vierteljahrhundert noch ein im Verfallen begriffener ehemaliger landwirtschaftlicher Betrieb war, ist inzwischen eines der wirtschaftlichsten Museen im Rhein-Kreis Neuss: das Kulturzentrum Sinsteden. Es beherbergt zwei Sammlungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten - die Skulpturen-Hallen Ulrich Rückriem und das Landwirtschaftsmuseum. In diesem Jahr feiert das Kulturzentrum, das dem Amt für Schulen und Kultur angegliedert ist, sein 20-jähriges Bestehen. Geleitetet wird das Zentrum von Kathrin Wappenschmidt, die als promovierte Kunsthistorikerin über moderne Kunst genauso leidenschaftlich erzählen kann wie über die Bedeutung der Erfindung des Mähbalkens.

Rhein-Kreis Neuss: Perfekte Symbiose aus Landwirtschaft und Kunst
Foto: Hammer, Linda (lh)

Ziemlich frisch ist es in Halle C, in der viele hundert Ausstellungsstücke rund um die Landwirtschaft gezeigt werden. Eine Rheinische Schlagkarre, ein zweischariger Kipp-Pflug oder eine Sämaschine von Anfang des 20. Jahrhunderts sind nur einige der zahlreichen Exemplare, die eindrucksvoll die Geschichte der Technisierung der Landwirtschaft veranschaulichen.

Die kühlen Temperaturen in der riesigen Halle machen Museumsleiterin Kathrin Wappenschmidt nichts aus - im Gegenteil. "Je kühler es hier drin ist, desto eher bekomme ich Menschen, die sich eigentlich nur für landwirtschaftliche Maschinen und deren Geschichte interessieren, in die deutlich wärmeren Räume hinein, in denen die wechselnden Ausstellungen gezeigt werden", sagt die gebürtige Hamburgerin augenzwinkernd. Durch die räumliche Nähe der beiden Ausstellungsbereiche könne man Menschen, die sich sonst weniger für Kunst interessieren, auch für die Ulrich-Rückriem-Hallen begeistern.

Der weltweit bekannte Bildhauer hat diese Hallen nicht nur mit seinen Skulpturen ausgestattet, sondern auch deren Architektur selbst entworfen, womit die Hallen ein echtes "Gesamtkunstwerk" darstellen. Die Verbindung zwischen Landwirtschaft und moderner Kunst findet sich in der Außenanlage des Geländes. Sie wurde gemeinschaftlich von Ulrich Rückriem und dem Rhein-Kreis Neuss konzipiert und zeigt verschiedene Aspekte der Landschaft und Landschaftsgestaltung, die auf die Kunst ebenso Bezug nehmen, wie auf das Landwirtschaftsmuseum. Höchst interessant sei es, so Wappenschmidt, die seit 1996 das Kulturzentrum leitet, wie unterschiedlich die Besucher mit dem Ausstellungskonzept der Museumsanlage umgehen.

So interessierten sich deutsche Besucher meistens nur für einen der beiden Ausstellungsbereiche. Bei ausländischen Gästen hingegen sei das ganz anders. "Vor allem Besucher aus den USA und aus den Niederlanden wollen alles sehen und schauen sich die Skulpturen von Rückriem und die Pflüge und Traktoren mit gleichem Interesse an. Das fällt mir immer wieder auf", sagt Wappenschmidt, der man ihre norddeutsche Herkunft anhört.

Aufgewachsen ist Kathrin Wappenschmidt in ihrer Geburtsstadt Hamburg, studiert hat sie in Kiel und an der Sorbonne in Paris, an der sie auch über die Skulpturen von Henri Matisse promovierte. "Bevor ich hier 1996 angefangen habe, hatte ich keinerlei Berührungspunkte mit der Landwirtschaft. Im Laufe der Zeit ist sie mir aber sehr ans Herz gewachsen. Es hat großen Spaß gemacht, diese Sammlung von Anfang an mit aufzubauen", erklärt Wappenschmidt.

Angefangen hat alles mit Schenkungen. Viele Landwirte aus der Region, aber auch Firmen haben Geräte gespendet, die von Mitgliedern des Fördervereins des Landwirtschaftsmuseums liebevoll gepflegt und restauriert werden. "Unser Auftrag ist es, diese Dinge zu sammeln und für die Gesellschaft zu bewahren. Wir leben hier in einem landwirtschaftlich geprägten Kreis, aber der Bezug zur Landwirtschaft geht durch die zunehmende Aussiedelung von Höfen immer mehr verloren", sagt Wappenschmidt. "Vielen ist nicht mehr klar, dass die Landwirtschaft die Basis unserer Ernährung ist." Vor allem die Diskrepanz zwischen dem Fleischkonsum der Bevölkerung und der gleichzeitigen Weigerung, sich mit der Schlachtung von Nutztieren auseinander zu setzen, sei auffällig. "Wir haben hier vor einiger Zeit einen Film über Schlachtung in einem absolut vorbildlich arbeitenden Betrieb gezeigt. Dafür haben wir ziemlich viel Kritik eingesteckt, weil er angeblich nicht zumutbar gewesen sei."

Ihr liegt es besonders am Herzen, Kinder wieder mehr für Natur und Landwirtschaft zu begeistern, oft bestünde dort ein hoher Nachholbedarf. "Wenn ich Schüler zum Beispiel frage, wie das Größenverhältnis vom Schwein zum Rind ist, können mir das viele nicht beantworten", berichtet die zweifache Mutter. Auch beim Thema Ernährung hätten Kinder und Jugendliche oft Vorstellungen, die wenig mit der Realität zu tun haben. "Ziemlich erstaunt war ich doch über die Aussage einer Schülerin, die der Meinung war, dass Pommes frites aus Stroh hergestellt würden", erinnert sich die Museumsleiterin.

Schüler- oder Kindergartengruppen besuchen das Kulturzentrum regelmäßig. "Über unsere Museumspädagogik schaffen wir eine Verbindung zwischen Schule und Kultur", sagt Elke Stirken, Leiterin des Amtes für Schulen und Kultur. "Zum Beispiel erhalten Lehrer, die an einer Schule im Rhein-Kreis anfangen, einen Überblick über die hiesigen Museumsangebote." Ausstellungsthemen, wie die aktuelle Reihe über die sieben Todsünden, werden oft fächerübergreifend behandelt. "Wir organisieren auch Bustouren in das Museum und verschiedene Aktionen vor Ort, so dass die Schüler sich plastisch mit einem Thema auseinandersetzen können", so Stirken.

Großen Besucherandrang gibt es auch beim Bluesfestival, das immer im Juni stattfindet. Über das Jahr verteilt werden weitere kleine Blueskonzerte geboten. "Der Blues ist die perfekte Musikrichtung für das Kulturzentrum, sie verbindet Landwirtschaft und Kultur wie keine zweite", sagt Wappenschmidt. "Der Blues ist auf den Baumwollplantagen in den USA gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfunden worden. Ohne ihn ist die Rock- und Popgeschichte nicht vorstellbar."

Besonders freut sich Kathrin Wappenschmidt, dass Sänger und Bands auch von weit her immer wieder gern nach Sinsteden kommen. "Die Künstler fühlen sich wohl. Viele sagen, sie würden nirgendwo so gut bewirtet wie bei uns. Wir haben da als Kulturzentrum in einem kleinen Dorf ein Alleinstellungsmerkmal. Viele Ehrenamtler helfen bei der gesamten Organisation tatkräftig mit", sagt Wappenschmidt. Auf die Frage, ob sie selbst nicht lieber in Kulturinstitutionen in einer großen Stadt tätig wäre, winkt die Kunsthistorikerin ab. "Da fällt mir immer ein Sprichwort ein: Provinz gibt es nur in den Köpfen."

(NGZ)
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