Tagebau Garzweiler bei Jüchen Bitteres Unrecht durch Braunkohle? - Karlsruhe verhandelt

Jüchen · Alles für die Braunkohle: Menschen müssen wegziehen, werden notfalls enteignet. Das verstößt gegen Grundrechte, meinen zwei Betroffene und haben geklagt. An diesem Dienstag wird in Karlsruhe verhandelt.

Chronik des "Rheinischen Reviers"
28 Bilder

Chronik des "Rheinischen Reviers"

28 Bilder

Stefan Pütz ist einer, der sich nicht vertreiben lassen will. Nicht vom Braunkohletagebau Garzweiler, nicht von dem Weltkonzern RWE. Die Bagger rücken näher. Viele haben den Ort schon verlassen, niemand will in einem sterbenden Dorf übrigbleiben. Pütz hat das alles mal als "bitteres Unrecht" bezeichnet - als er noch Interviews gab. Er blieb und klagte, bis zum Bundesverfassungsgericht (1 BvR 3139/08). Er beruft sich auf das Grundrecht, seinen Wohnsitz frei wählen zu dürfen. Zur Verhandlung an diesem Dienstag (4. Juni) will er mit seiner Frau nach Karlsruhe kommen.

Pütz lebt im rheinischen Revier. Der Tagebau Garzweiler liegt zwischen Jüchen und Erkelenz und erstreckt sich laut Planung über 48 Quadratkilometer. Wie im Rheinland geht es auch vielen Menschen an den großen Tagebauen im Osten. Sie müssen ihr Zuhause verlassen, ihr Dorf, bekommen eine finanzielle Entschädigung, müssen ganz neu anfangen. Konzerne und Behörden sprechen von Umsiedlung, andere von Vertreibung. "Bergrecht bricht Grundrecht", den Spruch kennen sie im Westen wie im Osten.

Das Grundrecht auf Eigentum sieht auch der Bund für Umwelt und Naturschutz in Nordrhein-Westfalen (BUND/NRW) verletzt. Die Umweltschützer hatten eine Obstbaumwiese im Tagebaufeld. Sie wurden enteignet. Mittlerweile hat der Krater die Wiese längst geschluckt.
Der BUND hat ebenfalls Beschwerde gegen den Tagebau eingelegt (1 BvR 3386/08) und wertet die mündliche Verhandlung als gutes Zeichen.

Der BUND ist der hartnäckigste Gegner der Tagebaue im Rheinland.
Er hat in allen juristischen Verfahren das Bergrecht hinterfragt, vor allem in Hinblick auf das Recht auf Eigentum. Der Tagebau sei schädlich für das Allgemeinwohl, die Enteignung von Grundstücken darum nicht zulässig. Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch sämtliche juristische Verfahren.

Allein im Rheinland müssen laut BUND noch 7000 Menschen wegen der Tagebaue wegziehen, davon 4800 im Bereich Garzweiler. "Es ist ja noch nicht einmal ein Drittel des Tagebaus realisiert. Für den weiteren Abbau kann das gravierende Folgen haben", sagt BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen.

"Es geht darum festzustellen, dass die Vorschriften des Bundesberggesetzes verfassungswidrig sind und nicht anerkannt werden durften", sagt der Anwalt beider Kläger, Dirk Teßmer. Ohne Enteignungsrecht würde der Tagebau "früher oder später" stoppen müssen.

RWE sieht das Bergrecht auf der Höhe der Zeit. Vor allem in Hinblick auf Beteiligung der Öffentlichkeit, Transparenz und Rechtsschutz sei es kontinuierlich angepasst worden und entspreche nationalem und europäischem Recht.

Es ist nicht so, dass die Menschen im rheinischen Revier gebannt nach Karlsruhe schauen. Sie sind auf den kommenden Tagebau eingestellt: "Keiner geht gerne. Aber die meisten haben sich mit der Situation abgefunden", sagt der Vorsitzende einer verbliebenen Bürgerinitiative, Franz-Josef Dederichs.

Garzweiler stand in den 90er Jahren bundesweit in den Schlagzeilen. Höhepunkt im Streit um den Tagebau waren 1995 die schweren Konflikte bei den Koalitionsverhandlungen von Rot-Grün. Das war auch die Hoch-Zeit des Widerstands in der Region, von dem heute nicht mehr viel übriggeblieben ist. Geblieben ist der Frust, und der ist unüberhörbar.

(lnw/url/top/ac)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort