Sportgeschichten (112) "Der heutige Handball ist mir zu rau"

Neuss · Gegen den Begriff der "Handball-Legende" wehrt sich Hansi Schmidt nicht. Das heutige Spielgeschehen verfolgt das Idol der sechziger und siebziger Jahre, der mit dem VfL Gummersbach sieben Deutsche Meistertitel gewann, aber mit Abstand.

Sportgeschichten (112): "Der heutige Handball ist mir zu rau"
Foto: Woitschützke Andreas

Neuss Sein Rücken schmerzt - "ich kann nur mit Mühe noch laufen". Seine Finger sind krumm und schief - die Folgen ungezählter Körperkontakte mit der gegnerischen Abwehr. Doch die Augen von Hans-Günther "Hansi" Schmidt (75) leuchten, wenn er vom Handball erzählt.

Von dem von früher. Mit dem heutiger Machart tut sich der Mann, der nie Weltmeister oder Olympiasieger wurde, der aber trotzdem das Idol der sechziger und siebziger Jahre war und sich auch nicht gegen den Begriff der "Handball-Legende" wehrt, ausgesprochen schwer. "Der heutige Handball ist mir zu rau", sagt der "Erfinder" des verzögerten Sprungwurfs, dessen 1.059 Bundesligatore dem VfL Gummersbach zwischen 1966 und 1976 zu sieben Deutschen Meistertiteln verhalfen, der mit den Oberbergischen vier Mal den Europapokal der Landesmeister gewann und der Bundestrainer hätte werden können, wenn er denn, so sagt er selbst, das gewollt hätte.

Bereut hat er keinen Tag seiner Karriere, die 1959 beim rumänischen Klub Stiinta Timisoara begann. Doch heute noch einmal Handball spielen, wenn er jünger wäre - Hansi Schmidt bedenkt diese Vorstellung mit einem entschiedenen "Nein." Klar, wer im Oberbergischen lebt, der besucht natürlich die Heimspiele des VfL Gummersbach. "Hin und wieder", sagt Hansi Schmidt, vor allem dann, wenn er sich aus diesem Anlass mit anderen treffen kann.

Mit Weggefährten von einst wie Petre Ivanescu zum Beispiel, der den TSV Bayer Dormagen 1987 als Trainer in die Bundesliga führte: "Wir telefonieren fast täglich", erzählt Hansi Schmidt über den inzwischen 81-Jährigen, der wie er vier Jahre zuvor 1967 aus Rumänien nach Deutschland kam, um hier Handball zu spielen. Der entscheidende Unterschied: Schmidt, der der deutschsprachigen Minderheit der Banater Schwaben angehörte, hatte sich 1963 bei einem Turnier mit einer rumänischen Studenten-Auswahl, die durch einige Nationalspieler verstärkt wurde, aus dem Mannschaftshotel in Köln abgesetzt, um in Deutschland zu bleiben.

Fortan galt er in Rumänien als "Fahnenflüchtiger", wurde (in Abwesenheit) zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Mit gravierenden Folgen für seine Eltern und die Familie seiner Schwester, denn die durften ihm nicht in seine neue Heimat folgen. Hier kommt Heinz-Günther Hüsch ins Spiel. Der Neusser Rechtsanwalt und ehemalige Bundestagsabgeordnete war zwischen 1968 und 1989 auf deutscher Seite Verhandlungsführer beim Freikauf von mehr als 200.000 Rumäniendeutschen - darunter auch die Eltern von Hansi Schmidt.

"Ich habe ihm sehr viel zu verdanken", sagt Schmidt über den inzwischen 88 Jahre zählenden Altmeister der Neusser Politik. Jahrzehntelang war Heinz-Günther Hüsch für ihn nur ein Name, vor zweieinhalb Jahren haben sie sich beim Lichterfest in Frankfurt erstmals kennengelernt. Und schätzen. "Vielleicht, weil ich selbst früher auch Handball gespielt habe", sagt Hüsch mit einem Lächeln. Der Kontakt wurde intensiver, jetzt besuchte ihn Hansi Schmidt erstmals in Neuss. Anlass war das "Forum Archiv und Geschichte", bei dem im Hitch-Kino erstmals der Film "Ein Pass für Deutschland" des rumänischen Regisseurs Rãzvan Georgescu gezeigt wurde.

Der Gegenbesuch ist schon geplant, natürlich in Verbindung mit einem Heimspiel des VfL Gummersbach. Ob Heinz-Günther Hüsch wahre Freude daran haben wird, darf bezweifelt werden, denn auch er empfindet seine einstige sportliche Leidenschaft heute als "zu rau, zu brutal." Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass "früher mehr Wert auf Abwehrarbeit und das entsprechende Training" gelegt wurde, wie Hansi Schmidt sagt. Er kann der modernen Variante des Spiels deshalb nicht viel abgewinnen: "Ergebnisse wie 31:29, das klingt für mich wie Schusstraining....". Lieber erinnert er sich an ein Spiel seines VfL in der Kieler Ostseehalle, das die Gummersbacher mit 17:14 gewannen. "Ich habe damals 14 Tore geworfen, genau so viele wie alle Kieler zusammen."

Solche Kunststücke waren keine Seltenheit in seiner Karriere: In seinem 45. Länderspiel (von insgesamt 98 für Deutschland) am 11. Dezember 1970 gegen Jugoslawien erzielte er 13 der 19 Treffer beim deutschen Sieg. "Natürlich ist das Spiel heute schneller, von mir aus auch athletischer - aber heißt das auch, dass es dadurch besser ist als früher?" Die Frage Hansi Schmidts klingt eher rhetorisch, trägt die (verneinende) Antwort bereits in sich. Doch trotz aller kritischen Distanz zum einstigen Lieblingssport sagt er auch: "Ich wünsche mir, dass wieder mehr Handball an den Schulen gespielt wird." Und das nicht nur aus sportlichen Gründen: "Ich habe durch den Handball sehr viel gelernt", sagt Hansi Schmidt, der nach seinem Karriereende als Hauptschullehrer tätig war, "der Sport ist eine hervorragende Schule."

Deshalb beäugt er Sportler, die nur für ihren Sport leben, ausgesprochen kritisch: "Ich bin ein großer Freund der dualen Karriere. Mir hat es immer geholfen, mich nach einer Niederlage auf mein Studium zu konzentrieren. Profis denken immer nur an das nächste Spiel - und sind dann viel zu verbissen."

(NGZ)
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