Reitsport Der WM-Titel ist kein sanftes Ruhekissen

Neuss. · Für die Voltigier-Weltmeister vom Neusser Nixhof hat die Vorbereitung auf die Europameisterschaften in Aachen bereits begonnen.

 Die Neusser Voltigierer haben bei den Weltreiterspielen im französischen Caen neue Maßstäbe für ihren Sport gesetzt - die obere Fotomontage zeigt Teile ihrer spektakulären Kür. Jetzt hat Erfolgstrainerin Jessica Lichtenberg (unten) die kommenden Europameisterschaften fest im Blick.

Die Neusser Voltigierer haben bei den Weltreiterspielen im französischen Caen neue Maßstäbe für ihren Sport gesetzt - die obere Fotomontage zeigt Teile ihrer spektakulären Kür. Jetzt hat Erfolgstrainerin Jessica Lichtenberg (unten) die kommenden Europameisterschaften fest im Blick.

Foto: Daniel Kaiser/Andreas Woitschützke

Was kommt, wenn alles erreicht ist, wenn der größtmögliche Traum eines Sportlers nach jahrelanger Arbeit in Erfüllung geht? "Normalerweise ein großes Loch", berichtet Jessica Lichtenberg, die als geborene Schmitz nur wenige Tage vor ihrem privaten Jahreshöhepunkt 2014 (Hochzeit) beim sportlichen Höhepunkt mit ihrer Mannschaft vom RSV Grimlinghausen im September den Titel bei den Weltreiterspielen in der Normandie holte.

Reitsport: Der WM-Titel ist kein sanftes Ruhekissen
Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Schon im Jahr 2006 war der damals erst 25-Jährigen in Aachen dieses Meisterstück gelungen. Es folgten schwere Jahre, in denen die Konkurrenz aus Ingelsberg die deutschen Farben vertrat, bis die Rheinländer anno 2011 die Bundeskrone zurückeroberten und seitdem auf allen Championaten anraten. Nach zwei Mal Gold auf den Europameisterschaften 2011 und 2013 und dem Vize-WM-Titel 2012 krönten sich die Pferdeakrobaten vom Nixhof in diesem Jahr mit der höchsten Auszeichnung, die ein Voltigierer aktuell erreichen kann. "Das ist alles so gut gelaufen und ich hatte danach wesentliche Momente, in denen ich mich selbst gefragt habe, ob es vielleicht der passende Augenblick für einen Abschluss gewesen wäre", sagt Lichtenberg.

Mit Blick auf die Herausforderungen der kommenden Saison jedoch gerieten die Abschiedsgedanken ganz schnell ins Hintertreffen. 2015 ist zwar "nur" ein EM-Jahr, quasi die kontinentale Zwischensaison, die Anlauframpe auf die globalen Titelkämpfe 2016. Nicht jedoch für die Neusser. Denn der Austragungsort der anstehenden Europameisterschaft ist im Pferdesport legendär - und macht mit einem völlig neuen Format auf sich aufmerksam. Erstmals nämlich werden die europäischen Meisterschaften in fünf Reitsportdisziplinen gleichzeitig ausgetragen, erlangen auf diese Weise einen noch deutlich höheren Stellenwert - und das an keinem anderen Ort als dem legendären CHIO in Aachen, dem weltweiten Mekka des Pferdesports, der Stätte des Neusser Titelgewinns von 2006.

Weil die Neusser in der Soers schon immer sensationell erfolgreich waren, wird ihnen die CHIO-Arena in Fachkreisen bereits als "Wohnzimmer" zugesprochen. Die unfassbare Bilanz: Neuss holte seit 2006 auf Aachener Boden immer einen Sieg. Schon allein diese Tatsache bringt den Titelverteidigern einen enormen psychologischen Vorteil in der anstehenden Qualifikation.

Aus Gesprächen mit den amtierenden Weltmeistern ist zu vernehmen: Die Motivation hat trotz des Triumphs in Caen keinesfalls nachgelassen. Die RSV-Schützlinge sind heiß auf den großen Preis. Auch die Erfolgstrainerin, die einen riesigen Anteil daran hat, dass Neuss zweifelsohne als eine der Weltmetropolen des Voltigiersports angesehen werden darf. "Ich habe gemerkt, dass das Stadion in Aachen das richtige Ziel ist. Dafür wird es sich lohnen, noch einmal zu investieren. In Aachen schließt sich ein Kreis. Wir wollen in dieses Stadion zurück", sagt die Eventmanagerin. Und wenn es nicht Aachen wäre? "Dann wäre es für mich vielleicht anders weitergegangen. Diese Saison war extrem. Eine neue Mannschaft, ein neues Pferd. Arkansas musste in den Ruhestand, Delia hat sich sehr schnell in die Rolle hineingefunden. Aber das alles war sehr anstrengend."

Die Besinnlichkeit der Weihnachtstage nutzt die 33-Jährige, um an neuen Ideen zu feilen. Mit der 2014er-Kür setzten die Neusser Maßstäbe und zu den Klängen der britischen Band Muse zweifelsohne einen modernen Trend. Die schwierige Aufgabe für die Athleten: Das Niveau halten, sich einmal mehr neu erfinden. Die Trainingspläne für die Wintermonate sind längst am Laufen, auch die ersten Konzepte werden umgesetzt. "Die theoretische Kür steht. Eine Idee ist da, aber nach so einem WM-Jahr dauert das immer etwas länger, bis es komplett ist", verrät Lichtenberg. Die neue Choreografie muss sich erst noch beweisen, wird eventuell wieder über Bord geworfen. In der Ruhe der Weihnachtstage soll die perfekte EM-Idee reifen. Lichtenberg: "Wir wollen uns wieder toppen oder zumindest an dieses Jahr herankommen."

Personell bleiben die Neusser hervorragend aufgestellt. Die 17-jährige Milena Hiemann verlässt das Team aufgrund von Knieproblemen und anstehenden schulischen Herausforderungen. "Das ist super schade, weil Milli von der Ausstrahlung her unglaublich souverän ist. Sie wird uns auf jeden Fall fehlen", bedauert Lichtenberg. Aus dem Juniorteam rückt derweil Eva Adrian nach. "Aus ihr kann man richtig was machen, sie ist sehr wandelbar", sagt die Trainerin über die 15-Jährige. Das Team wird von den Leistungsträgern Johannes Kay, Pauline Riedl, Janika Derks und Julia Dammer, den Oberfrauen Mona Pavetic und Leonie Falkenberg sowie natürlich der bald zehnjährigen Stute Delia komplettiert.

Einen grandiosen Saisonabschluss feierten die Neusser im Übrigen vor wenigen Wochen in Herford im Rahmen eines Galaabends, bei dem das Team mit seiner aktuellen Kür begeisterte. Lichtenberg: "Es war toll, mal ohne Druck zu performen." Im Mega-EM-Jahr 2015 wird sich der Druck wohl nicht vermeiden lassen. Dass sie damit allerdings hervorragend umgehen können, haben die Neusser Voltigiermeisterinnen schon oft bewiesen.

(daka)
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