Lokalsport Leistungssport in unruhigem Fahrwasser

Rhein-Kreis · Die Leistungssport-Reform des Deutschen Olympischen Sportbundes hat bisher vor allem für eines gesorgt: Unsicherheit bei Athleten und Vereinen. Darüber diskutierte eine Expertenrunde in Neuss.

 Expertenrunde: Claus Lufen, Alexandra Höffgen, Christoph Niessen, Jürgen Brüggemann, Michael Scharf, Dirk Schimmelpfennig, Bernhard Schwank und Dirk Brügge (von rechts).

Expertenrunde: Claus Lufen, Alexandra Höffgen, Christoph Niessen, Jürgen Brüggemann, Michael Scharf, Dirk Schimmelpfennig, Bernhard Schwank und Dirk Brügge (von rechts).

Foto: -woi

Zwei Stunden lebhafter und interessanter Diskussion fasste Olaf Kawald in einem Appell zusammen: "Was wir brauchen, ist Verlässlichkeit", gab der Leiter des Bundesleistungsstützpunktes Säbelfechten am Dormagener Höhenberg der Expertenrunde auf den Weg, die in die Neusser Pegelbar gekommen war, um auf Einladung des Rhein-Kreises über die Leistungssportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zu sprechen.

Lokalsport: Leistungssport in unruhigem Fahrwasser
Foto: Woitschützke Andreas

Denn die hat bisher vor allem zu einem geführt: Unsicherheit bei den meisten Beteiligten. "Vor allem bei den Trainern", sagt Kawald. Denn deren ohnehin befristete Anstellungsverträge sind aufgrund der finanziellen Unwägbarkeiten, die aus der Reform resultieren, auf gerade mal neun Monate ausgelegt worden - was im Übrigen nicht nur im Fechten gilt. "Und Trainer sind die wichtigste Grundlage für den Leistungssport", sagt Kawald.

Widersprochen hat ihm keiner der sieben Experten der von WDR-Sportredakteur Claus Lufen moderierten Diskussionsrunde. Lösungen und Hilfen konnte ihm freilich auch keiner anbieten. Auch wenn Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport des DOSB und als solcher derzeit landauf, landab mit der Verteidigung der Reform beschäftigt, versicherte, die beiden Bundesleistungsstützpunkte im Rhein-Kreis - neben Säbelfechten noch Ringen weiblich - stünden nicht zur Disposition: "Die jeweiligen Fachverbände wären dumm, wenn sie das anders sähen."

Die Sorgen sind durchaus berechtigt. Denn von den bundesweit 204 Stützpunkten sollen rund 40 wegfallen. Zentralisierung heißt das Zauberwort, um an den dann weniger Zentren "um so bessere Strukturen und Bedingungen" anbieten zu können, sagt Dirk Schimmelpfennig. Klingt auf den ersten Blick vernünftig und gut, führt aber bei vielen Athleten zu Härtefällen, weil sie ihren Lebensmittelpunkt verlegen müssen. "Und im Gegensatz zu Arbeitnehmern, die dafür Hilfen in Anspruch nehmen können oder sogar Umzugsprämien bekommen, müssen die Athleten damit alleine fertig werden", kritisiert Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes NRW.

Alexandra Höffgen kann das nur bestätigen. Der 23 Jahre alten B-Kaderathletin im Trikot des Neusser Rudervereins stehen nämlich einschneidende Änderungen ins Haus. Profitiert die Maschinenbau-Studentin bislang "von den kurzen Wegen" zwischen Universität in Dortmund und Trainingsrevier auf dem Dortmund-Ems-Kanal sowie einer Vereinbarung zwischen Hochschule und Leistungsstützpunkt, nach der sie "Klausuren beispielsweise unter Aufsicht auch im Trainingslager schreiben" kann, muss sie künftig in Berlin trainieren, um ihren Traum von einer Olympiateilnahme 2020 in Tokio zu verwirklichen. "Und dort gibt es das alles nicht, was in Dortmund üblich ist", hat Höffgen in Erfahrung gebracht. Ganz zu schweigen davon, dass sie Umzug, Wohnungssuche und Eingewöhnung an die neue Studienumgebung in Alleinregie regeln muss.

Die Kleinenbroicherin kennt etliche Disziplinkolleg(inn)en, "aber auch Trainer", die deshalb bereits ihre Laufbahn vorzeitig beendet haben. Oder weil ihnen Anfang des Jahres ohne Vorankündigung die finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe gestrichen wurde. Folge einer veränderten Kaderstruktur im Zuge der DOSB-Reform: "Von 4400 B-Kaderathleten erhalten 2000 keine Geldmittel mehr", weiß Michael Scharf, Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland und einer der schärfsten Kritiker der Reform.

Besser gesagt ihrer Umsetzung: Das für den Sport zuständige Bundesministerium für das Innere (BMI) habe versäumt, rechtzeitig Gelder für die Reform in den Haushalt einzustellen. "So können ihre durchaus positiv gemeinten Auswirkungen erst 2019 greifen - zu spät für Tokio 2020", fürchtet Scharf. Der auch kritisiert, dass der Sport und seine Finanzierung "stets von Haushaltszyklen und Wahlausgängen abhängig" seien, was eine verlässliche Planung erschwere. In NRW würde die Situation dadurch verschärft, dass vor den Landtagswahlen am 14. Mai keine zukunftsgerichteten Aussagen getroffen würden. "Der Pakt für den Sport wird fortgeschrieben, egal, wie die Wahl ausgeht", versicherte jedoch Bernhard Schwank, Abteilungsleiter im Ministerium für Familie, Jugend, Kultur und Sport in NRW, "damit ist eine Planungssicherheit für die nächsten vier Jahre gegeben."

Das soll auch für den Rhein-Kreis als "eines von vier Mustermodellen Leistungssportzentrum NRW" gelten - sehr zur Freude von Dirk Brügge. Trotzdem sieht der Kreisdirektor im Nachklang der DOSB-Reform "noch viele Fragen offen." Die vielleicht wichtigste für die heimischen Vereine und Athleten: "Folgen wir in der Sportförderung den DOSB-Vorgaben oder gehen wir unseren eigenen Weg?" sollte baldmöglichst beantwortet werden. Denn wie sagt Olaf Kawald: "Unsicherheit ist schlimmer als gestrichene Gelder."

(NGZ)
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