Lokalsport Marcel Wüst feiert seinen Jahrestag in Neuss
Neuss · Ex-Radprofi und Tour-Kommentator war der gefragteste Mann beim Tour-Treff von Volksbank und NGZ an der Zollstraße.
Okay, als Didi Senft seine Aufwartung machte im neuen Dienstleistungs-Center an der Zollstraße, stand der Tour-Teufel ganz kurz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bei den 200 Gästen, die der Einladung der Volksbank Düsseldorf/Neuss und der Neuß-Grevenbroicher Zeitung zum Tour-Treff gefolgt waren gestern Mittag.
Ansonsten gebührte sie ganz einem Mann, der selbst nicht nur die Tour de France mitgefahren ist, sondern dabei einen Etappensieg und eine Riesenüberraschung feierte. Denn gestern auf den Tag genau vor 17 Jahren eroberte der damals 32 Jahre alte Kölner für einen Tag das gepunktete Trikot für den besten Fahrer der Bergwertung - für einen Sprinter eine durchaus ungewöhnliche Aktion.
Das Trikot hatte Marcel Wüst gestern nicht mitgebracht. Wohl aber seine gewohnt ansteckende gute Laune - und zwei Rennräder, auf denen vor dem Computer-Simulator ein Zeitfahren absolviert werden konnte. Und wie das tags zuvor zum Grand Départ in Düsseldorf hatte auch das in Neuss einige Überraschungen zu bieten. Allen voran die, dass sich Meinolf Sprink als echtes "Tier" auf der Rennmaschine entpuppte: Das in Neuss lebende Mitglied der Geschäftsleitung von Fußball-Bundesligist Bayer 04 Leverkusen pulverisierte sämtliche Bestzeiten, ließ im direkten Duell auch Tochter Annika, mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft Bronzemedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen in Rio, hinter sich und wurde erst im letzten Anlauf vom noch schnelleren Ian Breidenbach entthront.
Marcel Wüst hatte mit Kennerblick gleich erkannt, was Meinolf Sprink so schnell machte: "Andere denken erst mal nach, der tritt einfach in die Pedale." Mit Kennerschaft führte Wüst, lange Jahre für die ARD als Experte bei der Frankreich-Rundfahrt im Einsatz, die Gäste auch in die Geheimnisse der Tour de France ein. Nur mit seinem Tipp lag er daneben: "Das Feld kommt geschlossen hier vorbei", prophezeite er, als sich die 196 noch im Rennen befindlichen Fahren vom Düsseldorfer Burgplatz aus auf die 202 Kilometer lange zweite Etappe machten. Tatsächlich war es die vierköpfige, erst kurz vor der Zielankunft in Lüttich gestellte Ausreißergruppe um den sich das erste Bergtrikot sichernden US-Boy Taylor Phinney (Team Cannondale), die als erste über die von Zuschauern beiderseits dichtgesäumte Zollstraße bretterten, bevor zweieinhalb Minuten später das Hauptfeld für ohrenbetäubenden Beifall sorgte. Der für Reiner Breuer war nicht ganz so heftig. Doch der Neusser Bürgermeister erntete viel Zustimmung für seine Feststellung, die er im Interview mit NGZ-Sportredakteur Volker Koch traf: "Wenn ich mich in der Stadt umschaue, kann ich nur sagen: Das Engagement in Sachen Tour de France hat sich gelohnt."
Und auch sein Amtsvorgänger Herbert Napp, der sich jahrelang bemüht hatte, die Tour-Organisatoren auf Neuss als Etappenort aufmerksam zu machen, sah sich durch den Publikumszuspruch - geschätzt säumten mehr als 100.000 Fans die Neusser Straßen - bestätigt: "Ich habe immer gesagt, wir sind eine Radsport-Stadt." Die seit kurzem um ein Aushängeschild reicher ist: Nils Schomber, mit dem deutschen Bahnvierer Olympiafünfter in Rio, ist vom Heimatort Grevenbroich an die Büttger Straße gezogen. Dass Fahrer, die zu Jugendzeiten nur sein Hinterrad sahen, inzwischen Tour de France-Teilnehmer sind, grämt den 23-Jährigen nicht: "Ich habe mich bewusst für die Bahn entschieden." Vom Tour-Treff ging es direkt ins Höhentrainingslager, schließlich stehen vom 19. bis 22. Oktober die Bahnrad-Europameisterschaften in Berlin ganz dick in seinem Kalender.
Weshalb der Neu-Neusser schweren Herzens auf einen Start bei der Tour de Neuss am 26. Juli verzichten muss. Auf die freut sich nicht nur Herbert Napp - "als Pensionär habe ich meinen Sommerurlaub ja schon hinter mir" - sondern auch Dominik Bauer. Der 20-Jährige aus Rosellerheide düpierte vor Jahresfrist die Profis mit seinem Sensationssieg. Den Volksbank-Gästen verriet er gestern, wie er das gemacht hat: "Ganz einfach: Die Stimmung an der Strecke, die vielen Zuschauer, das puscht enorm."
Eine Erkenntnis, die die aktuellen Tour-Fahrer nur unterschreiben können nach ihrem elf Kilometer langen Weg durch Neuss: "Schön, dass wir unseren Teil dazu beitragen konnten", fasste Volksbank-Direktor Christian Feldbinder vier Stunden gute Unterhaltung zusammen.