NGZ-Gespräch mit André Eisermann „Warum mache ich das eigentlich?“

NGZ-Gespräch André Eisermann - Der Film- und Theater-Schauspieler gastiert derzeit mit dem Programm "Schau-Bühne" im Apollo-Varieté in Düsseldorf

 André Eisermann gastiert derzeit im Düsseldorfer Apollo-Theater.

André Eisermann gastiert derzeit im Düsseldorfer Apollo-Theater.

Foto: NGZ

Düsseldorf Er war "Kaspar Hauser" in der Erfolgsverfilmung von Regisseur Peter Sehr, der "Elias" in "Schlafes Bruder" von Joseph Vilsmaier, er hat Opern gesungen, Musicals gemacht, Theater gespielt: André Eisermann, als Kind einer Schausteller-Dynastie auf Rummelplätzen groß geworden, biss sich an Schauspielschulen durch bis ganz nach oben. Der Darstellerpreis auf dem Filmfest von Locarno, der Bayerische und der Deutsche Filmpreis sind nur drei seiner vielen Auszeichnungen. Noch bis zum 25. Mai führt er als Conférencier im Apollo-Varieté in Düsseldorf durch das aktuelle Programm: "André Eisermanns Schau-Bühne".

Sie sind ein hoch dekorierter Film- und Theaterschauspieler. Jetzt übernehmen Sie im Apollo-Varieté die Rolle des Conférenciers. Was hat Sie an der ungewöhnlichen Aufgabe gereizt?

André Eisermann Ich mache immer gern Dinge, die ich nicht kann. Ob ich Opern singe, ob ich ein Buch schreibe, Ballett tanze - ich experimentiere gern mit mir.

In Ihrer Person verbinden sich "ernste" Schauspielkunst und "volkstümliche" Unterhaltung nach der Art des Jahrmarktes: Für welche Seite schlägt Ihr Herz mehr?

Eisermann Was für mich zählt, sind Freunde und Familie. Das ist das Wichtigste im Leben. Und diese Familie kommt eben vom Jahrmarkt, aus der Schaustellerszene. Dafür schlägt mein Herz.

Dennoch: Der Film hat Ihnen große Erfolge beschert…

Eisermann Den Film habe ich erlebt, als ich noch sehr jung war. Damit verbunden war sehr viel, wovon andere Schauspieler ein ganzes Leben träumen.

War das mehr Glück oder Ergebnis harter Arbeit?

Eisermann Das habe ich mir erarbeitet. Ich bin mit 17 von Zuhause weg, zur Schauspielschule. Ich bin von vielen Dozenten, die mir gesagt haben, wie ich zu sein habe, geprügelt worden. Mein großer Lehrer aber war George Tabori. Er mochte nur Schauspieler, die nichts wussten, die alles lernen wollten. Offene, lernbegierige Leute - das ist es. Das hat mich immer angesprochen: Lernen von interessanten Menschen. Und ich habe Glück gehabt, dass ich mit vielen interessanten Typen zusammengekommen bin: Ruth Berghaus, George Tabori, Percy Adlon…

Von wem lernen Sie heute noch?

Eisermann Ich lerne durch meine Fehler und von Menschen, die mir voller Liebe versuchen, etwas klar zu machen. Im Moment lerne ich am meisten von mir: Hier auf der Bühne zu stehen und jeden Tag gegen klapperndes Geschirr zu spielen, gegen lachende Gesellschaft und dabei hoch konzentriert zu sein. Die Leute da unten im Saal vergessen manchmal, dass wir da auf der Bühne arbeiten.

Wann ist ein Auftritt ein guter Auftritt?

Eisermann Wenn das Publikum ruhig wird, wenn mir mein Pianist, Jakob Vinje, sagt: Sie waren still, André. Das ist für mich Erfolg. Wenn du sie packst, wenn dir jemand folgt, dann ist das für mich auch Erfolg im wahrsten Sinne des Wortes. Das zu erreichen, verursacht mir Schweißausbrüche.

Artist wollten Sie nie werden?

Eisermann Als Kind habe ich viel gemacht. Heute habe ich den Mut dazu nicht mehr. Als ich im Zirkus Roncalli Opern gesungen habe, waren für mich die Sänger die besten Artisten.

Wo bleibt denn da die Schauspielkunst?

Eisermann Was ich mache, ist dagegen so gering. Ich bin ein Schauspieler. Ich kann rausgehen und lügen. Das kann ein Sänger nicht. Der muss den Ton treffen. Ich kann meinen Text aufsagen und wenn etwas nicht ganz stimmt, kriegt es keiner mit. Wie sagt Tabori immer: Das Publikum ist dumm. In der Oper ist das anders: Ein schiefer Ton auf der Bühne und das Publikum macht dich fertig.

Haben Sie eine Lieblings-Nummer im neuen Apollo-Programm?

Eisermann Ich finde George Schlick, den Bauchredner, ganz toll. Das ist Weltniveau. Wunderbar ist Hugo Zamoratte aus Argentinien, der sich klein macht und in eine Flasche faltet. Auch von Gunnar Erik mit seiner Handstandnummer bin ich begeistert. Am liebsten aber mag ich wirklich George Schlick - der bringt die Leute zum Lachen. Gerade nachdem ich bei meinem Auftritt eine ungeheure Anspannung erlebt habe.

Ehrlich gesagt: Sie wirken auf der Bühne nicht besonders angespannt...

Eisermann Ich bin ja schließlich Schauspieler. Es ist so: Ich habe mal meine Freundin Liza Minnelli bei einem Tournee-Konzert besucht. Ihr ging es an dem Abend wahnsinnig schlecht. Sie konnte nicht mehr laufen, hatte Hüftschmerzen, keine Stimme, nichts. Ich fragte: Liza, wie willst du auftreten? Aber die Show begann, sie stand auf der Bühne und gab alles. Niemand sah, wie dreckig es ihr ging, weil sie für diesen einen Augenblick einfach alles gegeben hat. Das habe ich bei ihr gelernt. Liza sagt immer: Es geht alles über die Augen. Wenn du die Augen oben hast, mit ihnen sendest, wenn die Leute dir in die Augen schauen können, dann holst du dir die Kraft aus deinem Selbstbewusstsein.

Das Lampenfieber bleibt also - trotz Jahren auf der Bühne und beim Film?

Eisermann Manchmal stehe ich da oben, singe dieses Lied, "Junger Mann gesucht", und frag mich, ob das Publikum die Augen verdreht. Dann muss ich denken: alles ist wunderbar. Dann breite ich die Arme aus - und dann geht's. Trotzdem bleibe ich ein sehr zweifelnder Mensch. Auch bei meinen Filmen. Ich kann meine Filme nicht sehen, das war auch bei "Kaspar Hauser" so. Ich finde mich immer grauenhaft. In Füssen, wo ich Musical gesungen haben - "König Ludwig" - oder bei "Falco" in Wien war es nicht anders. Meine Stimme war nach zwei Wochen ruiniert. Dann frage ich mich: Warum mache ich das eigentlich?

Trotzdem bleiben Sie dem Beruf treu?

Eisermann Was mich immer reizt an meinem Beruf, ist dieser Kick, nicht mehr zurück zu können. Wenn ich abends hier auf der Bühne stehe und genau weiß, dass gleich der Vorhang aufgeht, würde ich am liebsten in meine Wohnung zurückgehen, Fernsehen gucken, alles, nur nicht da stehen müssen. Wenn der Vorhang aber einmal auf ist, du draußen bist und das erste Lied hinter dir hast, dann ist es auch schon fast vorbei. Jeder Auftritt hat immer auch mit viel Angst zu tun.

"Schau-Bühne" kombiniert nostalgische Jahrmarkt-Atmosphäre mit hochklassiger Artistik - eine attraktive, aber auch eine anspruchsvolle Mischung, die das Publikum fordert. Gelingt das in einer Zeit, in der Casting-Shows à la Dieter Bohlen und immer neue Comedy-Shows die Quotenbringer sind?

Eisermann Das ist leider ein allgemeines Phänomen in Deutschland. Leute wie Stefan Raab und Dieter Bohlen spiegeln die geistige Haltung unserer Gesellschaft wider. Früher waren das Leute wie Gert Fröbe oder Hildegard Knef. Da war auch das Publikum noch etwas gehobener. Heute wird das Publikum immer primitiver. Es wird versaut durch diese Talkshows schon am Mittag, durch den Sarkasmus, der da an den Tag gelegt wird oder durch dieses Casting im Fernsehen.

Sie erwecken die alten Jahrmarktsattraktionen wieder zum Leben. Warum gibt es solche Programme auf den Rummelplätzen von heute nicht mehr?

Eisermann Gucken Sie sich doch mal um auf dem Rummel! Die Schausteller können dort gar nicht mehr leben. Ist doch kein Wunder: Die Kinder haben heute kein Geld mehr für den Autoscooter, die haben Handy-Schulden.

Was bleibt vom Schaustellerberuf?

Eisermann Nicht viel. Es bleiben die, die hart arbeiten, die gleich vier Plätze auf einmal halten. Stadtfeste laufen noch ganz gut. Der Bratwurststand - das geht immer. Oder du machst neue Pommes. Wie sagt Schiller: Der Mensch ist ein nachahmendes Geschöpf. Und wer der Vorderste ist, führt die Herde. Du musst nur sagen: Das ist sensationell. Schon fressen sie es dir aus der Hand.

Das Prinzip Jahrmarkt?

Eisermann So war es früher auf dem Rummelplatz: Dort wurde alles gezeigt, was die Leute interessierte. Da gab's den dicken Mann, die große Frau, die Bänkelsänger als Vorläufer der Zeitungen, die mit ihren Moritaten sensationelle Ereignisse verbreiteten. Das war der Ort, wo einfach alles war und wo auch das Kino entstand. Aber das ist alles Geschichte. Heute wird mit diesen Ideen der Schausteller viel Geld gemacht, doch sie selbst haben nicht mehr viel davon.

Wenn Sie die freue Auswahl hätten: Welches wäre Ihr Traumprojekt?

Eisermann Ich fahre mit MS Europa von Tahiti nach Australien, das ist toll. Das ist traumhaft. Auch mein Haus auf Mallorca, wo ich morgens aufwache und das Meer sehe, ist ein Traum. Arbeitstechnisch betrachtet, würde es mich interessieren, einmal Regie zu führen.

Im Theater oder beim Film?

Eisermann Beides wäre interessant. Aber beim Film muss man einen Namen haben. Die Geldgeber wollen auf Nummer sicher gehen. Der Erfolg - der finanzielle wohlgemerkt - muss planbar sein. Deshalb werden auch immer die gleichen Leute besetzt. Für mich ist das nicht leicht, da ich in der Branche als schwierig und kompliziert gelte.

Materielle Güter, das ist das eine. Gibt es andere Ziele, die Sie mit Ihrer Arbeit verbinden?

Eisermann In meiner Heimatstadt Worms habe ich die Nibelungen-Festspiele mitgegründet - das ist für mich ein großes Werk. Gesellschaftlich kann man nur wenig bewegen. Ich bin mit für Unicef aktiv gewesen. Mit Soldatenkindern bin ich durch Deutschland gereist. Letztlich sammelst du zwar etwas Geld, aber du bewirkst nicht viel damit.

Die politische Wirkung des Schauspiels bleibt begrenzt?

Eisermann Politisch lässt sich durch Schauspielerei kaum etwas verändern. Die Medien schreiben doch alles: über Bush, über die Kriege, die großen Probleme. Und das Theater? Da scheißen sie auf die Bühne, beschmieren sich mit Ketchup, bluten sich aus. Was soll ich damit anfangen? Vieles wird verhunzt. Man soll richtig Theater spielen.

Das heißt für Sie…?

Eisermann Ich mache zum Beispiel gern meinen Goethe-Abend Abend "Goethe - Werther - Eisermann - Die Leiden des jungen Werther", hier im Apollo übrigens am 19. Mai. Dort bewege ich wirklich etwas. Wenn ich die über 270 Jahre alten Texte lese, bewegt das mich, das Publikum und übrigens auch Generationen von Schülern, zu denen ich in die Schulen gehe. Die jungen Leute kommen zum Werther, glauben, dass sie sich langweilen müssen - und sind begeistert von dem Text und der Musik, die Jacob Vinje eigens dazu komponiert hat. Leben Sie nach den Idealen, die ein Stück wie den "Werther" ausmachen? Eisermann Ich lebe nicht immer danach. Wichtiger aber ist, dass man in den zwei Stunden vielleicht einige Schüler bewegt, sich zum Beispiel auf einer Schauspielschule zu bewerben, ein Musikstudium zu beginnen oder sich mit Kunst und Literatur zu beschäftigen. Sie sollen etwas tun, bei dem sie sich entwickeln, aus sich herauswachsen, weil sie endlich begreifen, wer sie wirklich sind. Und das muss nicht das sein, was die Gesellschaft von ihnen erwartet: Geld verdienen, die Schulbank drücken…

Beschreibt das auch Ihre Lebensphilosophie?

Eisermann Geld, Güter - davon nimmt man nichts mit. Was man mitnimmt nach dem Tod, das sind die Erfahrungen, die Erlebnisse, die schönen Dinge. Wenn ich sterbe und zurückblicke, will ich wissen, warum ich gelebt habe. Ich will mich nicht an Sorgen zerfressen. Das versuche ich den Schülern klar zu machen. Letztlich waren auch Goethe und Schiller so.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Eisermann Mein nächster Kinofilm ist wieder eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert. Ich hätte auch gern "Das Parfum" gespielt, der Roman wurde ja im wahrsten Sinne des Wortes "ver-filmt". Für mich gab es immer drei Dinge: "Kaspar Hauser", den ich schon spielen wollte, als ich zwölf Jahre alt war, und den Elias in "Schlafes Bruder", das war eine tolle Sache. Und dann "Das Parfum", das wäre meine Trilogie gewesen.

Wie suchen Sie Ihre Rollen und Projekte aus?

Eisermann Indem ich darin eine Herausforderung sehe. Es geht ja auch um das Scheitern. Mein Lehrer George Tabori sagt immer: "Wieder Scheitern. Besser Scheitern". Den Mut zum Scheitern zu haben, ins kalte Wasser springen, nicht denken, machen, rausgehen. So zu arbeiten, das liebe ich.

Scheitern - ein ungewöhnlicher Maßstab für einen Schauspieler…

Eisermann Das machen nicht viele so. Nur wenige Schauspieler sind so. Die Hildegard Knef war so eine: Bühne, Film, Chansons, Bücher. Da sehe ich mich. Für manche habe ich aber wohl schlicht einen Knall - ist ja auch wahr. Udo Jürgens sieht das auch so: "Wenn mir einer sagt, mein Freund, ich glaube, du hast nicht alle Tassen mehr im Schrank, in deinem Kopf ist eine lockere Schraube, dann sage ich aus tiefstem Herzen: Gott sei Dank!" So geht's mir auch.

Ist Udo Jürgens ein Vorbild für Sie?

Eisermann Udo Jürgens war mein Mentor. Er ist für mich ein Maßstab an Entertainment. Der Mann ist über 70 Jahre alt. Sich in dem Alter noch einmal vier Monate auf die Bühne stellen und jeden Abend fit sein - das müssen andere erst einmal bringen. Das sind für mich Maßstäbe: Hildegard Knef, Udo Jürgens, als Schauspieler auch Gert Fröbe und Heinrich George.

Aktuelle Beispiele gibt es nicht?

Eisermann Wenige. Heutzutage wird Gift in die Köpfe der jungen Leute injiziert. Alles ist nur noch "super-cool" und "geil". Es gibt keinen Anstand mehr, keinen, der noch "Guten Tag" sagt.

Macht es Ihnen Spaß, gegen Windmühlen zu kämpfen?

Eisermann Die Schauspielschule hat mich gelehrt, vieles auszuhalten, auch den Widerstand von außen. Das ist wie auf der Bühne: Das Publikum ist gnadenlos. Man muss lernen, sich nicht klein machen zu lassen. Auch an Menschen, die einen klein machen wollen, kann man wachsen. Gott bringt Menschen zusammen, nicht nur damit sie sich lieben, sondern auch damit sie sich auseinandersetzen und sich reiben. Dadurch entsteht Wärme, Feuer, Licht, Leben. Wer der Reibung aus dem Weg geht, hat sein Leben verloren und verpennt. Wenn man immer nur auf Nummer sicher geht, macht das Leben keinen Spaß. Ich stehe lieber mal auf dünnem Eis.

Frank Kirschstein und Carina Wernig führten das Gespräch. Weitere Infos: www. apollo-variete.com, Telefon: 0 2 11 / 828 90 90. Solo-Specials im Apollo: 19. Mai, 20 Uhr: "Goethe - Werther - Eisermann". André Eisermann liest Goethes "Die Leiden des jungen Werther". 5. Mai, 20 Uhr: Jan Becker: "Gedankenleser und Magier".

André Eisermann: "Das ist für mich Erfolg. Wenn du sie packst, wenn dir jemand folgt, dann ist das für mich auch Erfolg im wahrsten Sinne des Wortes."

André Eisermann: "Was mich immer reizt an meinem Beruf, ist dieser Kick, nicht mehr zurück zu können." NGZ-Fotos (5): F. Kirschstein

Schauspieler André Eisermann: "Wer der Reibung aus dem Weg geht, hat sein Leben verloren und verpennt."

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