Minimaler Unterschied zwischen Himmel und Hölle Wenn Buchstabe und Wort wiegen

Von Simon Hopf Seine Worte haben Gewicht. Und zwar in ganz konkretem Sinne. Wenn der Dichter Oskar Pastior Buchstaben zu Worten zusammensetzt, dann jongliert er zugleich mit Zahlen. Das Schreiben wird zur Rechenaufgabe. A wiegt beispielsweise 1 und Z wiegt 26. Umlaute werden wie Einzelbuchstaben gerechnet.

Von Simon Hopf Seine Worte haben Gewicht. Und zwar in ganz konkretem Sinne. Wenn der Dichter Oskar Pastior Buchstaben zu Worten zusammensetzt, dann jongliert er zugleich mit Zahlen. Das Schreiben wird zur Rechenaufgabe. A wiegt beispielsweise 1 und Z wiegt 26. Umlaute werden wie Einzelbuchstaben gerechnet.

Daraus ergibt sich die logische Konsequenz, dass das, was beim Aneinanderrreihen von Buchstaben zu Worten entsteht, "Gewichtete Gedichte" sind. Schwerwiegende Verse - je nach Gehalt der Buchstabenkette - die trotz allen Hintersinns eine leichte Kost sein können, wie Oskar Partior am Wochenende bei einer Lesung in der Scheune des Museums Insel Hombroich einem amüsiert-verständigen Publikum deutlich machte.

Wenn die Hölle 57 und der Himmel 60 wiegt - was beweist das? Den minimalen Unterschied zwischen beiden. Jedenfalls nach Pastior. Der Zuhörer staunt und erfährt, dass Bielefeld, Berlin und Uschi vom Gewicht her dem Himmel zugeordnet werden müssten, Tango Choral und - man bedenke - Poeta, lateinisch Dichter, aber der Hölle ...

Das Grundproblem, gewichtet zu dichten, sei "die eingeschränkte Verfügbarkeit an Wörtern". Denn: "Wir sind gewohnt, in Sprache zu denken, die Sinn und Bedeutung hat. Aber nicht in Wortgewichtungs-Einheiten." Eine Grenze, die Pastior deshalb dichtend überschritten hat. "Birnenideen, Kiwi-Zehen, pink-bad, palom" sind zunächst einmal nur Phantasiegebilde - doch aus Pastiors gewichteter Sicht betrachtet, besitzt auch die abstruseste Wortkreation einen gewissen Charme.

Auf die Idee zu gewichteten Gedichten kam der 1927 in Hermannstadt geborene freie Schriftsteller, der seit 1969 in Berlin lebt, durch den Neujahrsgruß einer Bekannten aus Paris, die ihm auf seinen Namen Oskar Pastior (162) ein Gedicht mit "wiegenden" Versen schrieb. Am 5. Februar 1998 folgte Pastiors Echo - genau acht Jahre vor der jetzigen Lesung auf Hombroich. Acht Jahre dichterischen Schaffens, dessen Ergebnis in dem soeben veröffentlichten Bändchen "Gewichtete Gedichte. Chronologie der Materialien" zu besichtigen ist.

Herausgegeben wurde das Buch von Pastiors Dichterkollegen Oswald Egger, der seit einigen Jahren auf der Raketenstation lebt und die Nachfolge des kürzlich verstorbenen Thomas Kling bei der Konzeption und Vorbereitung der Reihe "Hombroich:Literatur" übernommen hat. Egger war es, der die Lesung mit "100 kleinen Unterbrechungen der Stille" beschloss. Und damit das Publikum rätselnd in den kalten Nachmittag entließ ...

(NGZ)
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