Rhein-Kreis Neuss Wie Augen und Ohren fasten

Rhein-Kreis Neuss · Die geheimnisvolle Karwoche bereitet die Gläubigen auf Ostern vor: Kreuze sind verhüllt, die Glocken schweigen, Schnarren lösen die Schellen ab. Ein erklärender Streifzug durch das Wechselspiel von Glauben und Brauchtum.

 Kreisdechant Msgr. Guido Assmann mit einer Schnarre und neben dem verhüllten Kruzifix in St. Quirin.

Kreisdechant Msgr. Guido Assmann mit einer Schnarre und neben dem verhüllten Kruzifix in St. Quirin.

Foto: L. Berns

Stille. In den Tagen vor Ostern schweigen die Glocken. Das fiel Ute Hommers auf, da war sie noch ein Kind. Der Tochter erklärten die Eltern: "Die sind nach Rom geflogen..." Daran erinnert sich Ute Hommers (65) als Erwachsene jedes Jahr in der Karwoche: "Das war und ist geheimnisvoll." Der Volksglaube sagt, dass die Glocken in Rom mit Reisbrei gestärkt werden, um dann zu Ostern in voller Pracht wieder ihren Dienst aufzunehmen.

Den theologischen Hintergrund erklärt Msgr. Guido Assmann (45), Kreisdechant und Oberpfarrer an St. Quirin. Zur Vorbereitung auf Ostern verzichten die Gläubigen auf Süßigkeiten, Zigaretten oder sie trinken keinen Alkohol. Doch auch Augen und Ohren sollen in dieser Zeit "fasten". Daher werden bis zur Karfreitag-Liturgie die Kreuze verhüllt und die Glocken bis in die Osternacht hinein nicht geläutet. "Unsere Kirchen symbolisieren den Himmel", sagt Assmann, "die Gläubigen verzichten darauf, diese Pracht in sich aufzunehmen."

Zu Ostern sei dann alles wieder in Fülle da: unverhüllte Kreuze, läutende Glocken, brennende Kerzen, frisches Weihwasser, neue Gewänder. Das alles sich erneuert ist für Assmann ein "beeindruckendes Zeichen", das auf die Osterbotschaft weist und das Geheimnis erklärt.

Er teilt zu Ostern nur Kommunion aus, die aus der Messer stammt, greift nicht auf die Vorräte aus dem Tabernakel zurück: die "drei heiligen Tage" sind für Guido assmann ein "einziger großer Gottesdienst", der in der Osternacht in der frohen Botschaft sich erfüllt. Das sieht auch Ilka Werner (45) so. Der Karfreitag als "höchster Feiertag" der evangelischen Kirche sei nur "in der Verbindung mit Ostern" möglich.

Die Vorsitzende der evangelischen Kirchengemeinden in Neuss ist "reformiert groß geworden", lehrt heute an einer Berufsschule. Sie weiß aber aus den Gemeinden, dass an den Ostertagen nicht unbedingt mehr Gläubige die Gottesdienste besuchen, "aber die, die kommen, kommen bewusster". Früher seien die Kirchen an den Osterfeiertagen ähnlich voll wie zu Weihnachten gewesen: "Heute leiden wir unter dem Oster-Tourismus."

Das Wechselspiel von Glauben und (rheinischem) Brauchtum zeichnet hierzulande kein anderer so anschaulich nach Manfred Becker-Huberti (64), in Langwaden lebender Theologe und Publizist. Er weiß noch, dass in der Karwoche die Messdiener durch die Straßen zogen und ihre Schnarren erklingen ließen: "So wussten sogar die Blinden, in welchem Dorf sie waren." Zur Belohnung durften die Messdiener zu Ostern Eier sammeln: "Das war für die Jungen ein Vergnügen und für die sie begleitenden armen Küster ein Beitrag zum Lebensunterhalt." Auch die Orgel als Triumphinstrument blieb stumm: "Sie war ja in Rom ..."

(NGZ)
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