Rheinberg Ärzte fordern Umdenken bei Demenz

Rheinberg · Die Krankheit ist noch immer ein Tabu-Thema, das erleben Experten aus dem Rheinberger St.-Nikolaus-Hospital immer wieder. Statt früh Hilfe zu suchen, halten Angehörige die Erkrankung gerne geheim - zum Schaden der Betroffenen.

Zehn-Punkte-Präventionsplan gegen Alzheimer
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Foto: dpa, Jan-Philipp Strobel

Auch wenn die bittere Diagnose längst Gewissheit ist, vermeidet es Peter Sundermann (Name geändert) vor Fremden und Nachbarn, das Wort Demenz bloß in den Mund zu nehmen. Lieber beschreibt er die Krankheit seiner 85-jährigen Mutter mit dem Wort Vergesslichkeit. "Wenn man selbst betroffen ist und in so einem kleinen Ort lebt wie ich, spricht man nicht offen über die Krankheit", sagt Sundermann.

Das Verhalten des 60-Jährigen ist kein Einzelfall, das weiß Bettina Schilling. Die Fachfrau für Gerontopsychiatrie, also speziell für psychische Erkrankungen bei Senioren, macht häufig dieselbe Beobachtung: Menschen mit Angehörigen, die an Demenz oder auch anderen Krankheiten wie Depressionen erkrankt sind, halten die Krankheit oft lange unter dem Deckmantel - aus Scham und Angst, ausgegrenzt zu werden. Hilfe suchten sich die Menschen erst, wenn es gar nicht mehr anders geht, sagt sie.

Aus medizinischer Sicht ist das ein Problem: Für die Betroffenen von Demenz ist dieses Vermeidungsverhalten gefährlich. "Es gibt Formen der Demenz, die organische Ursachen haben, und nur, wenn diese früh genug erkannt werden, kann der Verlauf der Krankheit abgeschwächt und verlangsamt werden", sagt Dr. Karsten Heekeren, Chefarzt im Nikolaus-Hospital.

Der Alzheimer-Selbsttest
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Foto: Shutterstock/John Gomez

Kurzum: Gibt es einen Verdacht, dass ein Mensch an Demenz erkrankt ist, sollte schnell gehandelt werden. Nur dann kann den Erkrankten effektiv geholfen werden. "Es ist wichtig, zügig eine gezielte Diagnostik durchzuführen", sagt Heekeren. Das sei die Grundlage für eine erfolgreiche Therapie, die je nach Demenz-Form ganz unterschiedlich aussehen kann.

Mehr Menschen zu offenen Umgang mit der Krankheit zu bewegen, das ist das Ziel von Bettina Schilling. Seit einigen Jahren leitet sie die gerontopsychiatrische Beratungsstelle im St.-Nikolaus-Hospital, die für den gesamten Kreis Wesel zuständig ist. Dorthin kann jeder kommen, der sich zum Thema Demenz informieren möchte. Vor allem sind das Angehörige, die eine Erkrankung eines Familienmitgliedes festgestellt haben. Einer davon ist Peter Sundermann, der den mutigen Schritt in die Psychiatrie gewagt hat. "Mutig" nennt er den Schritt, weil auch er Vorurteile hatte. Heute sagt der 60-Jährige: Es war die richtige Entscheidung. "Wir fühlen uns sehr gut aufgehoben."

Sundermann war einer dieser typischen Angehörigen, die Schillings in der Klinik erlebt. Aufgelöst, mit der Situation überfordert, ängstlich und mit jeder Menge Fragen im Gepäck suchten er und seine Frau Rat. Der Alltag begann den beiden über den Kopf zu wachsen. "Erst merkt man nichts, dann wird immer mehr vergessen, mal die Handtasche, dann ein Termin", beschreibt Sundermann den typischen Verlauf. "Irgendwann muss man sich mit dem Thema beschäftigen."

Zum Beispiel dann, wenn der Erkrankte sein Portemonnaie verlegt und die eigenen Angehörigen beschuldigt, es genommen zu haben - schließlich muss das Geld ja irgendwo sein. Daran, das Geld verlegt zu haben, erinnern sich die Betroffenen nicht. So ähnliche Dinge erleben viele Angehörige, das kann psychisch extrem belastend sein. "Dass der Mensch, den man kannte, nicht mehr da ist, ist schwer zu akzeptieren", sagt Sundermann.

Er habe hat dank der Beratungsstelle, so sagt er, gelernt, mit der Situation umzugehen. "Man muss lernen, dass man den Menschen dieses Verhalten nicht böse nehmen darf", sagt er. "Aber damit muss man erst einmal fertig werden", sagt der 60-Jährige mit brüchiger Stimme. Jeden dritten Mittwoch im Monat geht Sundermann zu einem Gesprächskreis mit anderen Angehörigen. Dort kann er sich austauschen "und auch mal lachen. Es tut gut, mit anderen über die jeweilige Lebenssituation zu sprechen, das gibt mir Kraft", sagt er.

Weil seine Mutter gleich im selben Haus wohnt, pflegt Sundermann die 85-Jährige die meiste Zeit zu Hause, einmal die Woche besucht die Dame eine Tagespflege. Auch dieses Angebot hat die Beratungsstelle vermittelt. Sie liefert den Betroffenen einen umfassenden Informations-Service, wenn es um das Beantragen von Pflegegeldern, Pflegemöglichkeiten oder finanzielle Aspekte geht.

Sie hilft aber auch den Angehörigen selbst. "Man muss gehörig auf sich selbst aufpassen", sagt Sundermann, der auch deswegen dazu rät, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Meine Hoffnung ist, dass sich die Wahrnehmung der Krankheit ändert", sagt er. Das würde Betroffenen und Angehörigen den so belastenden Alltag erleichtern.

(RP)
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