Alpen Brasilianerin genießt ihre Zeit in Alpen

Alpen · Millie Santos studiert "Internationale Beziehungen". Leonie Kenner, Tochter der Gastfamilie, ist derzeit in Brasilien.

 Millie Santos versteht sich wunderbar mit ihrer mit ihrer Gastmutter Barbara Kenner. Die 25-Jährige liebt Wirsingeintopf und geht im Dirndl zum Oktoberfest.

Millie Santos versteht sich wunderbar mit ihrer mit ihrer Gastmutter Barbara Kenner. Die 25-Jährige liebt Wirsingeintopf und geht im Dirndl zum Oktoberfest.

Foto: Ostermann

Sonne, Samba, Karneval und Fußball sowie Menschen, die das Leben mit beiden Händen umarmen: Brasilien gilt für viele Deutsche als das Traumland. Kaum zu glauben, dass eine junge Brasilianerin ihre Heimat mit dem Niederrhein tauscht, weil sie sich hier einfach wohlfühlt. Vor vier Jahren hat sich Millie Santos aus dem brasilianischen Salvador in einem College in England mit der Alpenerin Leonie Kenner angefreundet. Weil sie die in England geforderten 30 000 Euro Studiengebühren nicht aufbringen konnte, zog es Millie nach Deutschland. Bedingung für den Aufenthalt waren Gasteltern. Die Familie Kenner nahm die fröhliche Studentin der Fachrichtung "Internationale Beziehungen" spontan auf.

Zumal ein Zimmer für die Brasilianerin frei wurde, denn Leonie Kenner zog es zu einem Studium ausgerechnet nach Brasilien. Erster Ansprechpartner für die Alpenerin war natürlich die Familie Santos. Inzwischen sind längst familiäre Bindungen entstanden, erklärt Barbara Kenner: "Millies Eltern haben unsere Tochter praktisch adoptiert und wir Millie. Sie gehört fest zur Familie, alle lieben sie." Die Antwort auf die Frage, wer es mit dem Heimattausch auf Zeit besser getroffen hat, klingt etwas überraschend. "Ich glaube, mir geht es besser. Leonie sitzt im Winter bei null Grad in ihrer Studentenwohnung, weil es keine Heizung gibt, und kann erst am Abend zur Uni, weil ihre Kommilitonen sich tagsüber das Studium finanzieren müssen", sagt Millie Santos, die nicht nur die kostenlose Bildung an ihrer neuen Heimat schätzt: "Deutschland ist ein sehr faires Land, hier fühle ich mich zu Hause. In England war ich immer eine Ausländerin."

Brasilien sei zwar ein schönes Land, habe aber viele strukturelle, wirtschaftliche und politische Probleme. "Außerdem leidet die dunkelhäutige Bevölkerung im Norden des Landes sehr unter dem Rassismus der weißen Bevölkerung. Alle guten Jobs im Lande sind von Weißen besetzt. Meine Eltern haben gesagt: Wenn Du nicht putzen willst, musst Du lernen", sagt die Wahl-Alpenerin, die in Kürze ein Master-Studium in Frankfurt beginnt. Die Umstellung von der lockeren brasilianischen Lebensart auf die deutsche Ordnung ist ihr am Anfang schwergefallen, erinnert sich Gastmutter Barbara Kenner: "Sie kannte zum Beispiel keinen Terminkalender, wir haben sie aber von den Vorteilen überzeugt." Millie Santos muss lachen: "Ja, das war am Anfang schon komisch. In Brasilien ticken die Menschen anders. Es gibt dort keine Fahrpläne, der Bus kommt, wenn er kommt." Die Mentalität der Deutschen kann sie allerdings immer noch nicht richtig nachvollziehen. Dass das Image im Ausland nicht das Beste ist, liegt ihrer Ansicht nach an den Menschen hierzulande: "Die Deutschen verkaufen sich sehr schlecht. Fragt man sie, ob sie sich hier wohlfühlen, sagen sie: Geht so. Das verstehe ich nicht. Ich kann hier mit einem Laptop in der Bahn sitzen, in Brasilien würde ich niemals mit Schmuck oder einem Handy auf die Straße gehen, das wäre viel zu gefährlich." Die sympathische Studentin ist längst deutscher als manche Deutsche, liebt Wirsingeintopf und geht im Dirndl zum Oktoberfest. "Da kann man eine andere Seite von Deutschland sehen", lacht sie. Auch wenn sie noch ab und an Heimweh hat, möchte sie dieses Land nicht mehr verlassen. "Am liebsten würde ich meine Eltern und meinen Bruder nach Deutschland holen."

(RP)
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