Rheinberg Der Mann am Klavier

Rheinberg · Er hat keinen Plan, hat nicht geprobt und fängt einfach mal an, singt Christian Ehring. Um dann vor voll besetztem Stadthaus ein perfekt inszeniertes, satirisches Ein-Personen-Stück mit Klavier-Einlagen vorzuführen, das zunächst einmal die Lachmuskeln strapaziert. Auf dem Heimweg dann fühlt man sich ertappt. Denn Ehring hat gnadenlos sinnlose Phrasen, Moden, Klischees und vermeintliches Wohltätertum enttarnt.

Wenn etwas nicht verstanden werde, so schickt der Kabarettist vorweg, wiederhole er es gern, denn "ich will keinen Zuschauer zurücklassen". Und die zwei Stunden, "die einzigen, die wir jemals miteinander verbringen", sollen natürlich "quality time" sein. Und dann steigt Ehring ein in die Geschichte, die - wie auch die Klavierkompositionen - aus seiner eigenen Feder stammt: Der 18-jährige (fiktive) Sohn geht nach Buenos Aires, für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Slum. Der Vater hat diesen Plan vorangetrieben, denn etwas voranzutreiben ist nicht "Kernkompetenz" des Sohnes. Es war zwar kein Top-Slum mehr frei, aber immerhin ein Slum. Den braucht man schließlich heute für den untadeligen Lebenslauf.

So ein Aufenthalt im Slum sei obendrein unvergesslich - für den armen Waisen aus dem Armenviertel, kann der doch ein Leben lang von sich sagen, dass er einem Mitteleuropäer bei der Selbstfindung geholfen hat. Ist der Sohn im Slum, wird dessen 40-Quadratmeter-Einliegerwohnung im Neo-Bauhaus-Reihenstadthaus frei, in die mal die ausländische Pflegekraft mit ihrer Familie einziehen soll. Was liegt näher, als die Zimmer zwischenzeitlich einem Flüchtling zu überlassen? Findet jedenfalls die Gattin. Ehring läuft zu komödiantischer Hochform auf, wenn er als skeptischer Ehemann den Dialog mit der (natürlich nicht anwesenden) sozial engagierten Ehefrau führt.

In Heute-Show und Extra-3 kennt man Ehring für seine prägnanten politischen Spitzen, und etliche davon baut er auch in sein Ein-Mann-Theater ein, wenn er etwa beim Thema Flüchtlinge zum Verhältnis Angela Merkels zum türkischen Präsidenten Erdogan kommt: "Ich möchte nicht wissen, wie oft der Altmaier im Kanzleramt schon den Defibrillator von der Wand gerissen hat. Ist sie jetzt noch besonnen oder schon von uns gegangen?" habe sich der Kanzleramtsminister gefragt.

Die heutige Interpretation des Asylrechts ist auch nicht nach seinem Geschmack: Es sei so, als führe man die Mütterrente ein, verlege aber die Ausgabestelle nach Helgoland und stelle den Schiffsverkehr ein. Dann widmet sich der in Düsseldorf lebende Krefelder der Aktualität: Trump kriegt sein Fett weg, ebenso Steinmaier, der Berliner Flughafen, die Zulassung computergesteuerter Autos, der Vegan-Hype oder übertriebenes Öko-Getue, das nur das Gewissen ob des SUV beruhigen soll. Und Ehring kommt immer wieder zu seiner Rahmen-Geschichte zurück: Die Klein-Familie sucht sich einen Flüchtling aus Eritrea aus (der war mal Journalist und spricht schon gut Deutsch) doch der will lieber im Flüchtlingsheim bleiben - bei seinen Freunden. Da ist die Empörung groß, hatte man ihm doch schon einen Rabatt im Fitnessstudio besorgt "und unsere alten Stofftiere in die Dritte Welt verschenkt". Ehring gastierte bereits 2014 erfolgreich in Rheinberg, und einige Zuschauer waren auch damals dabei. "Ob Texte, Gesang oder Klavierspiel", so Heidemarie Schlehuber aus Orsoy, "bei Ehring stimmt einfach alles". Tosender Beifall gibt ihr Recht.

(evka)
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