Rheinberg Die Abgründe der menschlichen Seele

Rheinberg · Das Westfälische Landestheater überzeugt in der Rheinberger Stadthalle mit einer starken Umsetzung des Fitzek-Krimibestsellers "Passagier 23" . Vera Thuleweit verabschiedet sich nach 36 Jahren Kulturarbeit von ihren Abonnenten.

 Vera Thuleweit verabschiedete sich von den Abonnenten.

Vera Thuleweit verabschiedete sich von den Abonnenten.

Foto: RP-Archivfoto; OO

Den ersten großen Auftritt, den lieferte am Donnerstagabend in der Stadthalle nicht das neunköpfige Ensemble des Westfälischen Landestheaters, sondern Kulturamtsleiterin Vera Thuleweit. "Mit dem Abend geht die Spielzeit 16/17 langsam zu Ende - und damit auch meine Zeit hier bei der Stadt", verabschiedete sie sich "nach 36 Jahren Arbeit im Kulturbereich und 26 Jahren als Kulturamtsleiterin mit über 1000 Veranstaltungen" vom Publikum. Am 1. August beginnt die passive Phase der Altersteilzeit und damit ihr Gleitflug in den Ruhestand.

Thuleweit dankte dem "tollen Publikum" und den treuen Abonnenten wie dem Ehepaar in der ersten Reihe, das seit 1981 ununterbrochen in der Stadthalle fast jede Veranstaltung verfolgt. "Das nächste Programm ist in Planung, das mache ich noch mit. Bleiben Sie uns treu", so die scheidende Kulturamtschefin und wünschte "noch viele schöne Spielzeiten". Sie erntete für ihr langjähriges Engagement den Applaus der Zuschauer.

Danach blieb es dem Westfälischen Landestheater vorbehalten, die Bühne mit dem von Lothar Maninger inszenierten Fitzek-Krimi "Passagier 23" in seinen Bann zu ziehen. Und es gelang dem Ensemble, den komplexen Plot um den Polizeipsychologen Martin Schwartz - differenziert und mit vielen Tiefen gespielt von Guido Thurk - mit großer Intensität und Dichte den Zuschauern nahezubringen.

Der Polizeipsychologe hat Frau und Sohn Jahre zuvor auf dem Passagierschiff "Sultan of the Sea" verloren und wird von einer seltsamen alten Dame (Vesa Buljevic) aufgefordert, noch einmal auf das Schiff zu gehen. Dort soll Belege dafür geben, was mit den beiden passiert ist.

An Bord trifft er auf das verstörte Mädchen Anouk - beklemmend Mayke Dähn -, die mit dem Teddybären von Martins Sohn gefunden wird und deren Mutter Naomi (Pia Seyfahrth) anscheinend von einem Psychopaten festgehalten wird.

Immer tiefer taucht Schwartz in die Materie des Falls um Mord, Willkür, Kindesmissbrauch und Rache ein, wird dabei mit seinen eigenen Ängsten und Verlust-Alpträumen konfrontiert.

Dabei kommen immer neue Handlungsstränge und überraschende Wendungen hinzu - wie bei der hysterischen Julia Stiller (Vesna Buljevic), die um das Leben ihrer offensichtlich suizidgefährdeten Tochter Lisa (Franziska Ferrari) bangt , die aber am Ende ihre Mutter für ihre Affäre mit ihrem eigenen Geliebten am liebsten tot sehen will.

Da ist der Shala (Maximilian van Ulardt), der frühere als junger Mann von seiner Mutter sexuell missbraucht worden war und wohl die Person ist, die stellvertretend für seine Mutter die Mütter zu beseitigen scheint, denen auf den Kreuzfahrten begegnet.

Die Ärztin Dr. Beck (Samira Hempel), die Shala beim Angriff auf Schwartz erschlägt, entpuppt sich am Ende als die wahre Irre und Mörderin von Schwartz' Ehefrau - wobei aber offen bleibt, ob der Junge in ihrer Obhut noch fünf Jahre überlebt hat oder nicht.

Großartig wirkte dabei das Zusammenspiel des schlichten Bühnenbildes mit einer riesigen, mit einer großen Schiebetür versehenen Holzwand - und den Projektionen von Anna Kirschstein und der Videotechnik von Jan Burghardt, die die Tür mal in ein Kellerverlies, dann in eine von Meerwasser umspülte Reling oder in die No-Go-Behandlungsarea für das junge Mädchen verwandelten.

Und den Schauspielern gelang es mit klarer, offener Sprache, viel Dramatik und natürlichem Spiel, allen Figuren des Stückes Identität, innere Brüche und Konturen zu verleihen und so die Untiefen menschlichen Daseins auszuleuchten - eine ganz starke Ensemble-Leistung. Dazu kam eine Inszenierung, die mit vielen kurzen Szenen-Blöcken dem Stück Dynamik und Tempo und somit auch mehr Dichte verliehen.

"Das ist sehr nah' am Original", brachte es eine Besucherin in der Pause anerkennend auf den Punkt, was sie besonders fasziniert hatte. Und sicher hat es den einen oder anderen Nicht-Fitzek-Kenner dazu angeregt, mal ein Buch zur Hand zu nehmen und sich mal so auf den Polizeipsychologen einzulassen.

(RP)
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