Alpen Ergreifend - Judy Bailey singt über sich

Alpen · Das Leben schreibt die besten Lieder: "Lifesongs" haben Judy Bailey und ihr Mann Patrick Depuhl ihre sehr persönlich Tour überschrieben. Mehr als 300 Besucher in der evangelischen Kirche in Alpen zeigten sich tief bewegt.

 Ein Energiebündel, das mit seinen Liedern berührt: Judy Bailey und Patrick Depuhl begeisterten in der evangelischen Kirche in Alpen.

Ein Energiebündel, das mit seinen Liedern berührt: Judy Bailey und Patrick Depuhl begeisterten in der evangelischen Kirche in Alpen.

Foto: Armin Fischer

"Wenn ich meine Heimat besuche, erzählen sie mir, wie ich als Fünfjährige auf dem roten Fahrrad zur Schule gefahren bin." Sechs Kilometer hin, sechs wieder zurück. Ob sie denn keine Angst um sie gehabt habe, fragte Judy Bailey einmal ihre Mutter, als sie die Eltern dort besuchte, wo sie aufgewachsen ist: auf Barbados, der östlichsten Insel in der Karibik, wo es das ganz Jahr über 26 Grad warm ist. In der Luft wie auch im Wasser. "Nein, warum? Du machst das schon", habe die Mutter geantwortet. Und sie machte es schon, genau wie ihr Bruder, der zwei Jahre älter ist als Judy.

40 Jahre ist das her. Seit vielen Jahren lebt Judy Bailey mit ihrem Mann Patrick Depuhl und den drei Söhnen in Menzelen. Bis dahin war es ein langer Weg mit Höhen und Tiefen. Die Musikerin hat ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Mit ihrem Mann ist sie derzeit auf ihrer persönlichsten Tour unterwegs: "Lifesongs. Das Leben schreibt die besten Lieder", heißt sie. Judy Bailey erzählt ihr Leben, singt ihr Leben in gefühlvollen Balladen, begleitet sich temporeich auf der Akustik-Gitarre.

Mit 300 Zuhörern prall gefüllt ist die evangelische Kirche, als Patrick Depuhl aus der Biografie liest. Behutsam dort, wo Judy Bailey von ihrer Bulimie erzählte. - "Mit 19 schien es mir logisch zu sein, mich nach einer Mahlzeit zu übergeben". Oder davon, dass sie ihren Vater an Krebs verloren hat, am Tage der Beerdigung mit der Mutter und dem Bruder noch einmal in die Leichenhalle gegangen ist, um sich endgültig zu verabschieden - und in dem Moment plötzlich ein Lied für ihren Vater singen konnte: Life goes on. "Das Dunkle wird immer Teil unserer Welt sein und deshalb auch Teil unseres Lebens", sagt sie, greift zur Gitarre und spielt einen Song, den sie 2014 für alle geschrieben hat, "die ein Zuhause suchen. Einen Ort, wo man gewollt ist, wo man hingehört: Home".

"Patrick ist heute meine Stimme", sagt sie und lacht ihren Mann an. "Es hilft manchmal, wenn Männer erklären, was Frauen meinen", kontert der, greift zum Buch und liest humorvoll und spannend von Judys ersten Gehversuchen mit der Gitarre. 16 sei sie gewesen, als in der Schule ein Theaterstück aufgeführt werden sollte. Der Lehrer fragte, ob jemand Gitarre spielen könne. "Ich kann das übernehmen", hörte sich Judy sagen, die noch nie ein Saiteninstrument in der Hand hatte. Und es war nur noch eine Woche Zeit bis zur Aufführung. Gottlob hatte der Onkel eine alte verstaubte Gitarre.

Kindheit und Jugend auf Barbados, ein paar Semester Informatik, Physik und Mathematik an der Uni in Jamaika, nach London ausgewandert, Musik gemacht, und dann kommt der Anruf aus Deutschland: Ob sie sich vorstellen könne, auch hier mal ein Konzert zu geben. Konnte Judy Bailey - und ist hiergeblieben. 1994, sie hatte gerade ihr neues Album aufgenommen, sei sie "von einem gut aussehenden Mann interviewt worden". Das war Patrick Depuhl, ihr späterer Ehemann.

"Es ist ein großes Privileg, mit Musik unterwegs sein zu dürfen", erzählt sie. Aber auch, dass eine Schwarze, die Musik macht, schneller akzeptiert werde als eine Schwarze, die Arbeit sucht oder arbeitslos ist. Man könnte Romane schreiben über die unglaublich starke Frau, die mit ihren Liedern berührt. Die über die Jahre Hunderte von Liedern in ganz vielen Kontinenten gespielt hat und für alle schreibt, "die sich manchmal in einer Sackgasse stehen und Geduld brauchen".

Und man will irgendwie nicht, dass der Abend zu Ende geht, der "Dialog aus Musik und Sprache", wie es der Musik- und Literaturkreis beschreibt, der die beiden nach Alpen geholt hat. Tut er aber - leider.

Judy Bailey und Patrick Depuhl: Lifesongs. Einfach großartig.

(jas)
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