Alpen Experiment: Anzug macht Politiker um 30 Jahre älter

Alpen · Der SPD-Landtagsabgeordnete René Schneider hat gestern mit technischen Tricks nachgefühlt, wie sich Senioren bewegen.

 Blei in Manschetten um die Gelenke, in den Handschuhen und in der Weste unterm Mantel machen unbeweglich - René Schneider hat's ausprobiert.

Blei in Manschetten um die Gelenke, in den Handschuhen und in der Weste unterm Mantel machen unbeweglich - René Schneider hat's ausprobiert.

Foto: Arfi

Die Bewegungen wirken behäbig, die Schritte schwer. Bisweilen schlurft der 1,90-Meter-Hüne etwas gebeugt übers helle Pflaster auf den Rathausplatz, wo gestern Nachmittag Wochenmarkt ist. Der kleine Tross, der den Mann im grauen Mantel mit der schleppenden Gangart umgibt, zieht die Blicke auf sich. Die gelbgetönte Brille lässt den unbedarften Beobachter an einen Skifahrer auf Abwegen denken. Völlig schräg wirkt der Kopfhörer auf den Ohren. Einen jugendlichen Musikfan wird bei dem Anblick niemand darunter vermuten. Aber auch keinen Politiker. Es ist René Schneider (40), SPD-Landtagsabgeordneter, der sich mit ein paar Hilfsmitteln um rund 30 Jahre älter gemacht hat. Er möchte am eigenen Leib erleben, was es bedeutet, als älterer Mensch im öffentlichen Raum unterwegs zu sein. Die Aktion geschah im Rahmen der NRW-weiten "Woche des Respekts".

Fazit nach seinem kurzen Dorfspaziergang, der ihn auch ins Ärztehaus Amaliengalerie geführt hat: "Es lohnt sich, mal den Alterssimulationsanzug anzuziehen. Danach kann man besser nachvollziehen, was das Leben von Senioren beschwerlicher macht", sagt René Schneider. Und: "So kann man manches schon vorher richtig machen, ohne später nachbessern zu müssen", so seine Bilanz.

Was allgemein klingt, hat einen konkreten Hintergrund. Rollstuhlfahrer Karl-Heinz Kohl, Behinderten-Beauftragter der Gemeinde und Genosse, hat bei der Inspektion durch die Amaliengalerie noch einmal deutlich gemacht, wo er Nachbesserungsbedarf sieht, damit das Ärztehaus auch von Menschen mit Handicaps eigenständig aufgesucht werden kann.

Sein Parteifreund aus dem Landtag, der seine 100 Kilo Körpergewicht durch Blei um Brustkorb und Gelenke um rund ein Drittel nach oben geschraubt hatte, konnte an einigen Stellen leicht verstehen, dass es harkt. Durch seine Brille, die sein Blickfeld stark einschränkte und auch das Lichtempfinden trübte, könne er gut nachempfinden, dass die uniforme Farbgestaltung für Treppe und Boden im Foyer Sehbehinderten Probleme bereiten kann. "Gerade, wenn grelles Sonnenlicht einfällt, ist das Bild sehr diffus und verschwommen", so Schneider. Dass der Zugang zur Arztpraxis für Menschen mit Rollator oder im Rollstuhl ein Hindernis sein kann, erkennt auch derjenige, der keinen alt machenden Anzug trägt. Nebenan hat der Eingang zur Physio-Praxis einen automatischen Türöffner. Das wäre für den barrierefreien Gang zum Arzt auch hilfreich, so SPD-Parteichef Jörg Banemann.

Unterdessen meistert René Schneider die Treppenstufen im Haus recht problemlos. Trotz Erkältung. Spricht für seine Fitness. Kribbeliger wird's für ihn am Ausgang über die Treppen zur Straße: "Ohne Handläufe wächst die Angst zu stürzen", beschreibt der junge Alte seine Gefühle. Er steuert die Filiale der Sparkasse an, um Geld zu ziehen. Gut, dass er dazu nicht die Straße queren muss. "Dafür bräuchte ich mit der Montur recht lange", sagt er. "Ich schwer einschätzen, ob die Lücken zwischen den Autos groß genug sind." Eine wichtige Erfahrung.

Er schiebt die EC-Karte in den Geldautomaten, tippt die Geheimzahl ein und hebt Geld ab. "Durch Brille und Kopfhörer krieg' ich überhaupt nicht mit, was hinter mir abläuft. Das verunsichert stark", sagt er. Dann lädt er seine politischen Freunde ins Mühlen-Café in der Amaliengalerie ein. Vorher legt er seinen Altmachanzug ab. Denn das Blei an Händen und Ellbogen machen selbst das Heben einer Tasse zu einem kleinen Kraftakt.

(RP)
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