Alpen Sham und ihre Eltern müssen weiter

Alpen · Die Flüchtlingsfamilie mit ihrem vier Wochen alten Säugling musste ihr Quartier bei den Eheleuten Siemens in Alpen wieder verlassen. Die Bürokratie verlangt, dass der vorgezeichnete Weg der Verteilung in jedem Fall eingehalten wird.

 Da war die kleine Welt in Ordnung: Marget Siemens, Jehad, Ahed mit der kleinen Sham und Dolmetscherin Iptisam Atallah.

Da war die kleine Welt in Ordnung: Marget Siemens, Jehad, Ahed mit der kleinen Sham und Dolmetscherin Iptisam Atallah.

Foto: Fischer

Die Odyssee für die junge syrische Familie geht weiter. Ahed (19) und Jehad (24) und ihr erst vier Wochen altes Töchterchen Sham haben ihr Domizil im Haus der Eheleute Siemens in Alpen inzwischen verlassen. Auf amtliches Geheiß. Am Donnerstag voriger Woche kam ein Schreiben über den Kreis Wesel, dass die Flüchtlingsfamilie am nächsten Tag in die Zentrale Übergangseinrichtung Via Stenden", ein ehemaliges Tagungshotel, in Kerken umziehen muss. Von dort aus wird nach dem sogenannten "Königssteiner Schlüssel" weiterverteilt auf Kommunen im ganzen Bundesgebiet. Wohin die Reise für die drei geht, weiß Familie Siemens nicht. "Der Handy-Empfang ist schlecht und die Sprachbarriere so unmöglich zu überwinden", sagt Margret Siemens. "Aber wir werden den Kontakt nicht abreißen lassen", fügt sie fast beschwörend hinzu.

Der verordnete Abschied traf die Familien zwar nicht ganz unvorbereitet, schmerzhaft war er dennoch. Für alle Beteiligten, schließlich sind in knapp zwei Woche, die die syrische Familie im Haus An den Teichen gewohnt hat, starke menschliche Beziehungen entstanden. "Sie behandeln uns wie ihre Kinder, und für uns sind sie wie Eltern", hatte der 24-jährige Familienvater über seien Gasteltern gesagt. Doch die Bürokratie, die mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise verbunden ist, nimmt wenig Rücksicht auf Einzelschicksale. Die Verteilung der Ankömmlinge erfolgt nach festgelegten Regeln. Weil Ausnahmen leicht zur Regel werden, bleibt offenbar wenig Spielraum. So wusste die Familie Siemens von Anfang an, dass ihre besondere Gastfreundschaft wohl nur von kurzer Dauer sein würde.

Daran änderten auch Bitt-Briefe nichts, die Eheleute Siemens geschrieben haben. Das Wissen um die drohende Trennung und das Gefühl, wenn der Zeitpunkt da ist und der Wagen vorfährt, der die Familie abholt - dazwischen liegen Welten. Kopf und Herz stehen halt oft nicht im Einklang. "Es war ein sehr, sehr emotionaler, ein trauriger Moment", sagt Margret Siemens leise. Das klingt einigermaßen abgeklärt. Doch es sind Tränen geflossen.

Über die Dolmetscherin Iptisam Atallah, die in Palästina aufgewachsen ist und seit 40 Jahren in Alpen lebt, hat die Familie Siemens inzwischen erfahren, dass ihre Schützlinge sehr unglücklich sind mit ihrer momentanen Situation. "Schließlich hatten sie bei uns im Haus ihr kleines Reich, das sie nun verlassen mussten, um in eine Großunterkunft zu wechseln", so Margret Siemens.

Jehad lebe von der Hoffnung, dass er am Ende der ungewissen Reise seinen Bruder wiedertrifft. Der ist ebenfalls aus dem kriegszerstörten Damaskus geflohen und mit seiner Familie inzwischen in Bochum gelandet. "Er träumt davon, dass beide Familien irgendwann gemeinsam ein neues Leben in Frieden führen können", so seine ehemalige Gastgeberin. Wo das sein wird? Niemand weiß es.

Nur eines weiß Margret Siemens ganz genau: "Wir lassen den Kontakt auf keinen Fall abreißen." Sie werde genau verfolgen, was aus der kleinen Sham wird, die im Marien-Hospital in Wesel das Licht der Welt erblickt hat, nachdem sie im Bauch ihrer Mutter den beschwerlichen Weg, erst im Boot übers Mittelmeer nach Kos, dann über den Landweg bis an den Niederrhein zurückgelegt hatte. Nach der Geburt hatten Margret und Wolfgang Siemens die Familie bei sich aufgenommen und sie im Zimmer ihrer erwachsenen Tochter einquartiert.

Für die Alpener, die zeigen wollen, wie Integration gelingen kann, war's eine intensive, aber sehr positive Erfahrung. "Wenn Not am Mann ist, machen wir's wieder", sagt die Musiklehrerin, "wir stehen in den Startlöchern."

(RP)
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