Rheinberg Über Elend und Leid in den Lagern

Rheinberg · "Fremd im Feindesland. Fremd im Heimatland": Buch über Kriegsgefangenenlager und Zwangsarbeiter vorgestellt.

 Rüdiger und Monika Gollnick stellten das neue Buch gestern zusammen mit Franz Engelen vom Gocher Pagina-Verlag und Sabine Sweetsir (von links) vom Rheinberger Stadtarchiv in der Alten Kellnerei vor.

Rüdiger und Monika Gollnick stellten das neue Buch gestern zusammen mit Franz Engelen vom Gocher Pagina-Verlag und Sabine Sweetsir (von links) vom Rheinberger Stadtarchiv in der Alten Kellnerei vor.

Foto: Armin Fischer

Bei einem Spaziergang auf dem Gelände von Haus Aspel in Rees sind Rüdiger Gollnick und seine Frau Monika vor einigen Jahren zufällig auf die Gräber von fünf Polen, zwei Italienern und einer Russin gestoßen. Zwei der dort im März und April 1945 Begrabenen waren als Säuglinge gestorben. In Aspel war im Krieg ein Krankenhaus untergebracht. Doch wie kam es, dass es so viele Ausländer dorthin verschlagen hatte, fragte sich das Ehepaar und begann, dem nachzugehen. Daraus wurde eine umfassende Forschungsarbeit über Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager am Niederrhein, die nun als Buch vorliegt. Die Gollnicks haben es gestern im Rheinberger Stadtarchiv präsentiert.

"Fremd im Feindesland. Fremd im Heimatland" wurde nicht etwa hier vorgestellt, weil Soldaten der 106. Amerikanischen Infanterie Division in Rheinberg am 14. April 1945 auf 350 Hektar Acker- und Wiesenflächen ein deutsches Kriegsgefangenenlager eingerichtet haben, in dem bis Ende August 1945 bis zu 140.000 Gefangene verwahrt wurden. Grund war vielmehr, dass Rheinbergs Stadtarchivarin Sabine Sweetsir die Arbeit der Gollnicks "phänomenal" unterstützt hat: "Sie hat Verbindungen hergestellt, so dass ein kleines internationales Netzwerk entstanden ist, ohne die das Buch nicht gelungen wäre", schwärmt Rüdiger Gollnick. Die Kontakte reichten bis in die Vereinigten Staaten.

Im Rheinberger Archiv fanden sich reichlich Materialien, die bislang unveröffentlicht waren, doch die Gollnicks werteten auch die Archive anderer Orte am Niederrhein aus, etwa das von Rees. Das Ergebnis ist nicht nur ein Buch mit bewegenden Zeitzeugenberichten, die von den katastrophalen Verhältnissen erzählen, unter denen während des Krieges die ausländischen Zwangsarbeiter unter den Nazis und nach dem Krieg die deutschen Kriegsgefangenen unter den Alliierten leben mussten. Es stellt auch die erste vollständige Dokumentation über die Lager in den heutigen Kreisen Wesel und Kleve dar. Eine Liste der Betriebe, Höfe und Haushalte, die während des Krieges hier Zwangsarbeiter beschäftigten, haben die Gollnicks ebenfalls zusammengestellt.

Allein die Krankheiten, an denen die auf dem Gelände von Haus Aspel begrabenen Zwangsarbeiter verstorben sind, lassen erschauern: Der Bergmann Paul Panic aus Polen starb an Milzzerreißung nach einem Schlag. Die wenige Wochen alte Vilia Deputat, die in einem Lager das Licht der Welt erblickt hatte, starb an Magen- und Darmkatarrh.

Auch die 160 Abbildungen in dem Buch tragen dazu bei, den Horror von damals sichtbar zu machen, so das Gemälde von Wilhelm Götting, das im Massenlager Rheinberg entstanden ist und halb nackte, dürre Männer in Erdlöchern zeigt.

Die Kriegsgefangenenlager standen zunächst unter der Ägide der Amerikaner. Sie hatten jeden, der eine deutsche Uniform trug, ganz gleich, ob Zugschaffner, Krankenschwester oder Soldat, über Pontonbrücken an den linken Niederrhein verfrachtet, doch die Gefangenen wurden weder ernährt noch versorgt. Nach heutigen Erkenntnissen, so Gollnick, stand seitens der USA durchaus Absicht dahinter: Man wollte den Deutschen eine Lektion erteilen, auch wenn man damit gegen die Genfer Konvention verstieß. Im Juni 1945 übernahmen dann die Briten die Aufsicht über die Lager, und langsam besserten sich die Verhältnisse. Die Gefangenen wurden jetzt sogar registriert.

Allein eine Viertelmillion Soldaten lief durch die Lager am Niederrhein. "Im Frühjahr 1945 fand hier eine Völkerwanderung statt" sagt Rüdiger Gollnick, denn zu den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die sich hier aufhielten, kamen noch befreite KZ-Häftlinge sowie Flüchtlinge aus den Ostgebieten.

Die Gollnicks hoffen, dass ihr Buch auch in den Schulen gelesen wird. Die Bilder und die lebhaften Berichte erlauben jedenfalls einen guten Zugang zu den Verhältnissen, die damals am Niederrhein herrschten.

Rüdiger Gollnick (unter Mitarbeit von Monika Gollnick): Fremd im Feindesland. Fremd im Heimatland. Pagina Verlag, Goch 2017, 224 Seiten, 19,80 Euro.

(evka)
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