Alpen Versteck in der Nische hinterm Schrank

Alpen · Die Jüdin Johanna Reiss (84) las im Alpener Schulzentrum aus ihrem Buch "Und im Fenster der Himmel".

 Johanna Reiss' Botschaft an die Jugend lautet: "Geht selber euren eigenen Weg."

Johanna Reiss' Botschaft an die Jugend lautet: "Geht selber euren eigenen Weg."

Foto: Armin Fischer

Mucksmäuschenstill wurde es im Schulzentrum, als Johanna Reiss von ihrer Lebensgeschichte erzählte. Die heutige 84-Jährige überlebte mit ihrer Schwester Sini im niederländischen Winterswijk die Nazi-Zeit. "Zwei Jahre, sieben Monaten und einen halben Tag", sagt Johanna Reiss. Versteckt in einem oberen Zimmer beim Bauern Johann überlebten die beiden Mädchen in einfachsten Verhältnissen.

Eine Nische hinter einer Schrank-rückwand sei ihr Versteck gewesen, in dem sie hockend Hausdurchsuchungen überlebt hatten. Kaum zu atmen, hätten sie gewagt, um sich am Ende nicht doch zu verraten. Von lebensbedrohlichen Situationen berichtete sie und auch von der Gefahr, in der Bauer Johann sich mit seiner Familien befunden hatte. "Johann lebte in einfachsten Lebensverhältnissen. Er und seine Frau waren fantastische Leute mit einem Herzen aus Gold", so Johanna Reiss.

Drei Tage bevor Annie, wie Johanna damals genannt wurde, das 13. Lebensjahr vollendete, wurden sie und ihre Schwester von kanadischen Truppen befreit. "Ich konnte kaum noch laufen." Durch den Mangel an Bewegung hatte sich ihre Muskulatur zurückgebildet. "Meine Beine waren krumm", sagt Johanna Reiss und malt mit den Händen ein O in die Luft.

Sie nimmt die Alpener Schüler mit in ihre Kindheit, in ihre Welt der Träume, in den Alltag mit der Angst vor den Nazis, die ebenfalls in dem bäuerlichen Haus stationiert waren. Bildmaterial präsentierte sie genug, um einen Eindruck davon zu vermitteln. Sie wiederholt ihre Botschaft an junge Menschen im 21. Jahrhundert eindringlich. "Versprecht mir, nicht Menschen zu folgen, die die Welt verändern wollen. Geht selber euren Weg", lautet ihr Appell.

Adolf Hitler bezeichnete sie als irrsinnig und verrückt. "Er hasste Menschen, die anders waren." Seine Kriterien seien widerwärtig. Ihrem Retter Johann hat sie damals versprechen müssen, "nicht mit Hass in die Welt zu gehen", erinnert sich Johanna Reiss. "Dafür habe ich dich nicht gerettet", habe er damals gesagt.

Nach ihrer Befreiung brauchte sie Jahre, bis sie ihre Erlebnisse in einem Buch veröffentlichte. "Und im Fenster der Himmel", so der Titel des Buches, das 2015 neu aufgelegt wurde - aktuell Bestseller der Jugendliteratur. Die Hauptschüler der Klasse 9 kennen die Lektüre. Über ihre Lehrerin Claudia Kurfürst, die Mitglied der Stichting Vrienden van Kolle Kaal (Verein der Freunde von Kolle Kaal) ist, kam der Kontakt zustande, so dass das Schulzentrum eine Station auf der Lesereise von Johanna war. "Ich war von unseren Schülern beeindruckt, wie nah sie das Schicksal von Johanna an sich herangelassen haben", so Lehrerin Kurfürst. "Sie ist eine derjenigen, bei denen es ein Happy End gab." Morad Bouras, Geschichtslehrer an der Sekundarschule, zeigt sich ebenfalls beeindruckt. "Die Schüler wollen wissen, wie sich alles ereignet hat." Begleitet wurde Johanna Reiss von Sixtina Harris, Stiftungsvorsitzende, die auf der Bühne dolmetschte. "Ich bin mir sicher, dass mancher jetzt Johannas Buch lesen wird. Der Faden reißt nicht ab", sagte Claudia Kurfürst.

(sabi)
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