Rheinberg Vom Kriegstagebuch des Onkels gefesselt

Rheinberg · Jungen und Mädchen der Rheinberger Europaschule beteiligten sich freiwillig am Projekt "Drehtürmodell".

 Paul Eichhorn hat über seinen Großonkel Johan Windhuis geforscht, der im Krieg Tagebuch geführt hat und 1943 in Russland gefallen ist.

Paul Eichhorn hat über seinen Großonkel Johan Windhuis geforscht, der im Krieg Tagebuch geführt hat und 1943 in Russland gefallen ist.

Foto: Fischer

Die Projekte, die im Rahmen des Drehtürmodells an der Europaschule entstanden sind, machten schon bei der Ankündigung neugierig. Karsten Schmidt, stellvertretender Schulleiter, hatte nicht zu viel versprochen. "Das Drehtürmodell ist eine besondere Möglichkeit von Schule und zum Wissenserwerb", sagte er. Das Modell komme der Begabtenförderung gleich, bei der sich Schuljugend weitgehend einem ganz eigenen Projekt widmet.

Das Drehtürmodell ist ein pädagogisches Lernkonzept auf freiwilliger Basis. Bis zu zwei Unterrichtsstunden pro Woche über einen Zeitraum von acht Monaten investierten die Schüler. "Mich haben das Durchhaltevermögen und die tollen Themen beeindruckt", so Schmidt. Die Bandbreite der Themen reicht von Porträts über wildlebende Tiere, über Naturphänomene wie Wind und Sturm bis hin zu historischen Epochen oder gesellschaftlichen Verhältnissen wie Armut in Indien.

Alle Teilnehmer stellten mit einem Vortrag, kombiniert mit Power-Point-Präsentation, ihre Ergebnisse vor. So beispielsweise Merle Lemmer, die sich dem eher ungewöhnlichen Komplex "Prothesen" gewidmet hat. "Die Präsentation hat mir Spaß gemacht, auch wenn ich anfangs aufgeregt war", erzählt die Zwölfjährige. Die Idee, sich mit Körperersatzteilen zu beschäftigen, sei spontan entstanden. "Ich habe meinen Opa im Krankenhaus besucht", erinnert sie sich.

 Merle Lemmer hatte einen tollen Vortrag über Prothesen vorbereitet.

Merle Lemmer hatte einen tollen Vortrag über Prothesen vorbereitet.

Foto: Armin Fischer

Dabei erlebte sie Patienten an Krücken - mit und ohne Gliedmaße. "Mich hat die Frage interessiert, wie es funktioniert, dass eine Prothese körperliche Funktionen übernimmt", so die Siebtklässlerin. "Ich habe dabei viel gelernt. Beispielsweise, wie wichtig Prothesen sind, um am Leben teilzunehmen. Und es war wirklich toll, alleine zu arbeiten", so Merle.

Sie hat nicht nur alte und neue Herstellungsverfahren verglichen. Moderne Technik und Messverfahren per Computer bestimmen heute die Arbeitsweise. "Ich habe mich mit Problemen von Prothesenträgern befasst", so Merle. Dazu zählen unter anderem Allergien, Entzündungen, Spannungsschmerzen oder, dass Wunden schlecht verheilen. Beeindruckt zeigte sie sich von Sportlern, die trotz Handicap dank Prothesen in internationalen Wettkämpfen stehen. "Ich würde wieder an solch einem Projekt teilnehmen", lautet ihr Fazit.

Ein völlig anderes Thema beschäftigte Paul Eichhorn: das Leben seines Urgroßonkels Johan Windhuis. "Für mich war es aufregend, weil ich mich für Geschichte interessiere und zu Johan Windhuis einen familiären Bezug habe", sagt der Achtklässler. In der Familie existiert ein Tagebuch, in das Johan ab 1940 Erlebnisse schrieb. Er meldete sich nach seinem Abitur freiwillig zum Kriegsdienst. "Er kam nach Reims, wo er Rekruten ausbildete", erzählt Paul. Johan Windhuis fiel später an der Ostfront in Russland.

"Mich hat das Tagebuch sehr bewegt", sagt Paul über die verschiedenen niedergeschriebenen Erlebnisse des Urgroßonkels. Erlebnisse, die sich der Schüler heute nicht vorstellen kann und mag. "Im Unterricht erfahren wir mit nüchternen Zahlen etwas über den Krieg. Ich habe dazu nun einen persönlichen Bezug." Um seinen Mitschülern ansatzweise das Soldatenleben zu erläutern, stellte er die Maschinerie von Wehrmacht und Luftwaffe im Vortrag vor.

Eine Herausforderung sollte das in Sütterlin verfasste Tagebuch sein. Eine ehemalige Lehrerin in Baerl half. "Frau Engeln hat jeden Tag eine Seite in unsere Schreibschrift übertragen. Dass sie die Schrift lesen konnte, habe ich sehr bewundert", so Paul.

Nach dem Vortrag standen die jungen Referenten für Fragen parat. "Mich hat gefreut, dass sich Menschen für das Leben meines Urgroßonkels interessiert und mich gefragt haben", sagt Paul.

(sabi)
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