„Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2006“ Chronist des Lebens am Gillbach

„Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2006“ · Über bloße Tagebuchnotizen weit hinaus gingen die Aufzeichnungen, die der Rommerskirchener Landwirt und Schmiedemeister Johann Peter Hurtz (1819 - 1901) hinterlassen hat.

Von 1835 bis zu seinem Todesjahr erstreckt sich die Ortschronik Rommerskirchens, in der Hurtz das Alltagsgeschehen würdigte, sich aber auch mit der "großen" Politik beschäftigte, wenn sie sich vor Ort bemerkbar machte. Der Vergessenheit entrissen hat die Erinnerungen von Hurtz Gemeindearchivar Gerd Blaschke.

Nachdem bereits im vergangenen Jahr der erste Teil erschienen ist, veröffentlichte Blaschke im "Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2006" unter dem Titel "Wenn ein Schmied zur Feder greift" die Fortsetzung, die sich mit der Zeit ab 1871 widmet. Repräsentativ für eine Mehrheit seiner Zeitgenossen dürfte Hurtz' Begeisterung für das 1871 unter preußischer Führung neu gegründete Deutsche Reich sein. Umso schmerzlicher war für den rheinischen Katholiken der Kulturkampf der preußischen Regierung.

Ohne Widersprüche ging es dabei nicht ab: Wenngleich er 1884 "eine engherzige kirchenfeindliche Gesetzgebung" beklagte, tat dies der Loyalität zum "allergnädigsten König Wilhelm I." keinen Abbruch, wie Ausführungen zu Festen des Kriegervereins und zum "Silberjubiläum" der Reichsgründung 1896 zeigen. Eine unvermutete "Aktualität" findet sich in anderer Hinsicht: In ganz Europa wie in Amerika grassierte im Winter 1889/1890 eine zuerst in Russland aufgetretene Grippe-Epidemie: In Rommerskirchen erkrankten über 400 Menschen an der Influenza.

"Viele Sterbefälle kamen hier zwar nicht vor, jedoch trat bei manchem ein anderes Übel, zum Beispiel Lungenentzündung, Rippenfellentzündung oder sonst was hinzu." Nicht nur für Geologen interessant: Zwischen 1878 und 1895 registrierte er mehrere Erdbeben. Das stärkste ereignete sich am "zweiten Kirmestage" 1878, als am 26. August mehrere Erdstöße die Rheinprovinz erschütterten. N

achbeben folgten noch am selben Tag und während der folgenden Woche. Bei der Primizmesse des neu geweihten Priesters Hermann Josef Spies mit von der Partie: Der Sohn des Lehrers Arnold Spies machte später als Domkapellmeister von Salzburg Karriere. Ein bislang nur Experten bekanntes Detail förderte Johann Peter Hurtz durch Rückgriff auf andere Quellen zutage. Der "Geschichte der Reformation im Bereiche der alten Erzdiözese Cöln" hat Hurtz entnommen, dass die Pfarrkirche St.Peter zwischen 1570 und 1580 "in protestantische Hände" geraten war.

"Alte Leute" hätten ihm die Überlieferung bestätigt, so Hurtz. Ursache der zeitweiligen Spaltung der Gemeinde sei "ein abtrünniger Pfarrer" gewesen, der offensichtlich zu ehelichen gedachte. Handfest zu Werke ging damals die St. Sebastianus-Bruderschaft. "Mit dem Treiben der Abtrünnigen . . . nicht einverstanden" habe diese das damalige Pastorat "bis auf den Grund abgebrochen und so den gottvergessenen Heirathslustigen zur Flucht genötigt", resümiert Hurtz die ansonsten nicht mehr rekonstruierbaren Vorgänge.

Auch das Wetter war für den Landwirt ein Thema: Besonders eindrucksvoll fällt seine Schilderung des Winters 1895 aus, als vom 10. Januar bis weit in den März hinein starker Frost herrschte. Rhein und Nebenflüsse waren zugefroren, und fast alle Singvögel erlagen der eisigen Kälte, berichtet Hurtz. Das "Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2006" ist für zehn Euro unter anderem in den NGZ-Geschäftsstellen erhältlich. (S.M.)

(NGZ)
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