Solinger Geschichten Als in der Ohligser Heide das Licht anging

Solingen · Vor 30 Jahren bekam das Union-Stadion Flutlicht – Bedingung für Berufsfußball. Es funktioniert bis heute. Nur die Profis sind schon lange weg.

Vor 30 Jahren bekam das Union-Stadion Flutlicht — Bedingung für Berufsfußball. Es funktioniert bis heute. Nur die Profis sind schon lange weg.

Am Ende fehlten lächerliche sechs Punkte zu einem möglichen Aufstiegsplatz. Mit 3:0 fertigten die Fußballer von Union Solingen am 26. Mai 1984 die Kollegen von Alemannia Aachen ab. Schon zur Halbzeit hatte es vor 2000 Zuschauern am Hermann-Löns-Weg 2:0 gestanden. Daniel Jurgeleit und Manfred Dum trafen früh. Und in Hälfte zwei machte dann ein gewisser Wolfgang Schäfer den Endstand perfekt.

Doch wie gesagt, zum Schluss reichte es nicht ganz. Nach dem letzten Spiel der Zweitligasaison 1983/84 rangierte Union auf Platz fünf, in die erste Liga stiegen Schalke sowie Karlsruhe auf — und Wolfgang Schäfer wechselte zu Bayer Uerdingen, mit dem er auf den Tag genau ein Jahr später beim Pokalfinale von Berlin den großen FC Bayern aus dem Olympiastadion schoss. Trotzdem, die Saison 1983/84 war die erfolgreichste, die eine Solinger Fußballmannschaft je spielte. In der Endabrechnung standen 70:54 Tore und 44:32 Punkte: Niemals zuvor und nie wieder danach hat Union Solingen besser dagestanden als in jenem Frühsommer 1984.

Dabei hätte diese Solinger Erfolgsgeschichte um ein Haar gar nicht stattgefunden. 1981 gründete der Deutsche Fußballbund (DFB) die eingleisige Zweite Liga. Plan war, den Unterbau des westdeutschen Berufsfußballs, der bislang aus zwei Staffeln Nord und Süd bestanden hatte, professioneller zu machen — wozu wiederum aus Sicht des DFB unter anderem eine Flutlichtanlage zwingend erforderlich war.

Immerhin sollte auch die Zweite Bundesliga fortan häufiger im Fernsehen präsent sein. Und weil die Sendeplätze bei ARD und ZDF in jenen Monopolzeiten der Öffentlich-Rechtlichen noch knapper schienen als talentierte Kicker, bedurfte es in allen Stadien einer fernsehtauglichen Beleuchtung, damit die Kamerateams auch abends die Zweitliga-Spiele ins rechte Licht zu rücken vermochten.

Das aber drohte wiederum die Union ins Abseits zu stellen. Der Verein, der 1975 in die Zweite Liga Nord aufgestiegen war, hatte die Quali zur neuen Liga zwar locker bewältigt. Doch was im Stadion am Hermann-Löns-Weg zu Beginn der 80er Jahre noch fehlte, waren eben solche Flutlichter, die der Verband für die Teilnahme an der neuen Liga zur Bedingung gemacht hatte.

"Wenn wir in Solingen weiter Profifußball bieten wollten, mussten wir handeln", sagt heute Bernd Wilz. Der CDU-Politiker und spätere parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium hatte einige Jahre zuvor, 1978, als Präsident die Leitung der Union übernommen. Und nun, Anfang der 80er, gab es für Wilz keinerlei Zweifel, dass es der DFB ernst meinte mit seiner Flutlicht-Auflage.

Zwar existierten in Solingen zunächst noch Zweifler, die meinten, auch in der DFB-Zentrale werde am Ende schon alles nicht so heiß gegessen, wie gekocht. Aber das erwies sich als Trugschluss. Vom Verband kamen eindeutige Signale. "Wir hatten für die ersten Jahre in der eingleisigen Zweiten Liga noch eine Ausnahmegenehmigung", so Wilz mehr als 30 Jahre später. Nur endlos war diese Verlängerung der flutlichtlosen Zeit nicht. Spätestens im Sommer 1983 musste den Solingern ein Licht aufgehen — sonst war's das mit dem Profifußball.

Allein, dabei gab noch ein weiteres Problem, das schnell zu einem Hindernis-Hattrick ausufern konnte. Denn erstens gehörte die Arena gar nicht der Union, sondern der Stadt. Die war aber zweitens bereits in den 80er Jahren finanziell eher knapp bei Kasse. Was drittens unweigerlich die Frage aufwarf, wer die dringend benötigte Flutlichtanlage bezahlen sollte.

Eine vergleichbare Investition hatte beim zwischenzeitlichen Erstligisten Darmstadt 98 mit rund 1,8 Millionen D-Mark zu Buche geschlagen. Und in einem ähnlichen Größenbereich würde, da waren sich die Experten damals sicher, auch das Solinger Flutlicht liegen.

"Tatsächlich sind wir am Ende bei lediglich 1,36 Millionen D-Mark gelandet", erinnert sich Rolf Selbach. Der Ohligser war bis zu seiner Pensionierung verantwortlicher Verkehrsingenieur bei der Stadt und wurde in den 80er Jahren neben Bernd Wilz zum zweiten Vater des Solinger Flutlichts.

Hauptberuflich war Selbach nämlich für sämtliche Lichtanlagen in der Klingenstadt zuständig. Wenn irgendwo eine neue Ampel aufgestellt werden musste oder die Straßenbeleuchtung Thema war, liefen die Vorgänge zwangsläufig über Selbachs Schreibtisch. Unter anderem die Beleuchtungsmasten am Schlagbaum gehen auf ihn zurück. Der Ingenieur hielt Planung und Durchführung in seinen Händen und verfügte somit über gute Kontakte zu vielen Firmen, die sich mit Beleuchtungen aller Art auskannten.

Ziel konnte es nach 1981 nur sein, mit möglichst preisgünstigen Mitteln zu einer Flutlichtanlage zu kommen. Aus diesem Grund übernahm das Rathaus die Planung, während der Verein Union seinerseits Vorarbeiten in Eigenleistung erbringen wollte, um den Kostenrahmen nur ja nicht zu sprengen.

Finanziert werden sollte die Ohligser Flutlichtanlage anteilig. "Die Stadt wollte 800 000 Mark übernehmen, wir den Rest", sagt Bernd Wilz. Der Union-Präsident hatte alles ausgerechnet. So musste der Club mit Hilfe befreundeter Firmen 250 000 Mark direkt beisteuern. Der andere Teil der Vereinsleistung sollte unter anderem über eine Investitionszulage fließen — alles in allem ein angemessener Preis für eine Zukunft des Solinger Profifußballs.

Allerdings: Im Lauf der Zeit kamen neue Schwierigkeiten. Als etwa die Fundamente für die Masten gebaut wurden, zeigte sich, dass der Boden unterm Stadion am einen Ende felsig, in der anderen Kurve hingegen sandig war. "Wir mussten an einer Seite mehr als vier Meter in den Boden rein", sagt Rolf Selbach. Nur so war gewährleistet, dass die etwas mehr als 30 Meter hohen Masten aus Stahl sicher standen.

Doch das war noch nicht alles. Auch bei der Finanzierung stellten sich ungeahnte Probleme in den Weg. Denn die eingeplante Investitionszulage für die Union war an die Bedingung geknüpft, dass der Verein das wirtschaftliche Eigentum am Stadion übertragen bekam. Das hieß zwar nicht, dass die Stadt dem Proficlub die Arena schenkte. Wohl aber wäre es nötig gewesen, der SG Union Solingen die Vermarktung des Stadions zu überlassen.

Dies aber war seinerzeit nicht durchsetzbar. "Der Rat hat nein gesagt zu der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums", erinnert sich Bernd Wilz. Mit der Folge, dass das ganze Finanzierungsmodell mit einem Mal Makulatur war.

Über die Gründe für die Ablehnung lässt sich heute nur noch spekulieren. Zum einen dürfte manchem Kommunalpolitiker die Aussicht auf üppig fließende Gelder, zum Beispiel aus der Bandenwerbung, zu verführerisch erschienen sein, als dass man diesen vermeintlich großen Kuchen den Fußballern hätte überlassen wollen.

Zum anderen bestanden in den 80ern aber auch noch prinzipielle Bedenken gegen den Profifußball. Schon lange bevor Kicker mit Millionengagen dotiert wurden, hatte der Berufsfußball den Ruf, mit Geldern nur so um sich zu schmeißen. Bei den Clubs der Zweiten Liga — und damit auch bei der Union — traf dies zwar mitnichten zu. Die Vereine wirtschafteten seinerzeit samt und sonders noch mit bescheidenen Mitteln. Reich werden konnte man im Profi-Unterhaus keineswegs.

Gleichwohl, es half nichts. Die Spieler galten als überbezahlt, die Vereine als reich — und die Stadt Solingen blieb auch wegen solcher Vorteile und des besagten Ratsbeschlusses auf den gesamten Kosten für die Anlage sitzen. Denn gebaut wurden die Flutlichtmasten am Hermann-Löns-Weg schließlich doch.

Diese erstrahlten zum ersten Mal am Abend des 13. Dezember 1982. Zur Premiere kam Schalke 04 für ein Freundschaftsspiel (4:0 für Union) in die Ohligser Heide. Monate später ging dann auch bei einem Pflichtspiel das Licht an. Am 31. März 1983, einem Donnerstag, besiegte die Union den FC Augsburg mit 2:1. 2500 Fans waren an diesem Abend im Stadion, im Schnitt kamen in den 80er Jahren zwischen 4000 und 5000 Besucher zum Hermann-Löns-Weg. Rekord waren jene rund 18 000, die im Februar 1985 beim bis heute legendären Pokalviertelfinale gegen Mönchengladbach (1:2) auf der Tribüne saßen oder die Stehterrassen bevölkerten.

Wie viele Spiele bis zum Abstieg aus der Zweiten Liga 1989 unter Flutlicht stattfanden, kann Bernd Wilz, der bis 1983 Union-Präsident blieb, heute beim besten Willen nicht mehr sagen. Vielleicht 20, vielleicht 30 — beschränkt man sich auf diese blanken Zahlen, könnte man meinen, das Flutlicht im Stadion habe sich nicht gelohnt.

Doch Bernd Wilz und Rolf Selbach machen eine andere Rechnung auf. Immerhin konnte mit Hilfe der vier Stahlmasten und ihrer dreistufig einstellbaren Beleuchtung über ein halbes Jahrzehnt länger Profifußball in Solingen geboten werden, als es sonst möglich gewesen wäre. Und weiter wurde auch nach dem Abschied aus dem bezahlten Fußball die Anlage noch manches Mal angeschaltet. Erst im Sommer 2009 untersagte die Stadt Flutlichtspiele, weil ein altes Notstromaggregat nicht mehr den Sicherheitsanforderungen entsprach. Einzige Ausnahme: Im Oktober 2009 wurde die Anlage für ein Freundschaftsspiel gegen Fortuna Düsseldorf (0:12) noch einmal angemacht.

"Das Flutlicht ist bis heute funktionsfähig", sagt Rolf Selbach, der wie Bernd Wilz den Niedergang der Union genauso bedauert wie das drohende Ende des Stadions. Die Stadt will die Arena aus Kostengründen loswerden. Und nachdem sich eine Vermarktung des Geländes wegen des nach wie vor felsigen beziehungsweise sandigen Untergrunds als Illusion erwies, droht nun der schleichende Verfall.

An der Tribüne lässt sich diese Entwicklung schon beobachten. Auf den Stehtraversen unterhalb der Sitzplätze und im Schatten des Daches wachsen Bäume und Unkraut, weil sich niemand mehr kümmert. Und Gleiches gilt für die Stehränge an den anderen Seiten, die die Arena bis heute wie den Prototypen eines Zweitliga-Stadions der 80er Jahre erscheinen lassen.

Nur der Rasen wird noch gepflegt — und die Flutlichtanlage. Sie wird weiter einmal pro Jahr gewartet. Das ist aus rechtlichen Gründen nötig und führt dazu, dass man das Licht im Stadion jederzeit wieder anknipsen könnte. Die einzigen, die dann noch fehlen würden, wären die Profis. Doch die sind ja bereits vor fast einem Vierteljahrhundert aus der Ohligser Heide verschwunden.

(RP/rl)
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