Solingen Arztpraxis hilft auch ohne Versicherung

Solingen · Die "Praxis ohne Grenzen" bietet Menschen ohne Krankenversicherung medizinische Beratung und Versorgung. Die Einrichtung eröffnete gestern in den Räumen der Jugend- und Drogenberatung in Ohligs.

Die ersten beiden Patienten waren schon am Donnerstag in die Sprechstunde gekommen. Gestern fiel dann der offizielle Startschuss für die "Praxis ohne Grenzen": Initiator Dr. Christoph Zenses feierte mit Kollegen und Mitstreitern die Eröffnung der neuen Einrichtung. Viele Gratulanten aus Vereinen und Politik tummelten sich in den Räumen an der Hansastraße 45a. Die dort niedergelassene Jugend- und Drogenberatung stellt den nötigen Platz für die Untersuchung und Behandlung zur Verfügung. "Wir haben schnell auf die Anfrage von Dr. Zenses reagiert", berichtete Norbert Schäfer, Leiter der Beratungsstelle, und würdigte die Tatkraft des sozial engagierten Internisten mit einer Anekdote: "Als ich ihm sagte, er könne sich die Zimmer mal ansehen, war er schon da, bevor ich die Pläne meinen Mitarbeitern überhaupt vorstellen konnte."

Dr. Zenses koordiniert die sozialen Projekte des Solinger Ärztenetzwerks Solimed. Das hatte im Jahr 2007 gemeinsam mit der Solinger Tafel das MediMobil ins Leben gerufen: Ein umgebautes Fahrzeug des Deutschen Roten Kreuzes fährt seitdem mit wechselnden Ärzten an Bord verschiedene Orte der Klingenstadt an, um bedürftige und vielfach obdachlose Menschen medizinisch zu versorgen.

"Das MediMobil bleibt sicherlich auch weiter eine Herzensangelegenheit für mich", sagte Christoph Zenses.

Die "Praxis ohne Grenzen" richtet sich an Menschen, die zwar eine Bleibe, aber keine Krankenversicherung haben und sich die notwendige Behandlung schlicht nicht leisten können. "Der Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit wird immer unterschätzt", sagte Zenses und führte erschreckende Beispiele an: "Zwischen der Lebenserwartung des einkommensstärksten und -schwächsten Viertels bei uns in Deutschland liegen bei Frauen acht und bei Männern sogar elf Jahre Differenz." In der untersten Einkommensschicht erreiche sogar knapp ein Drittel aller Männer nicht das Rentenalter.

Ehrenamtlich betreuen mehrere Ärzte die Patienten. Die erhalten, falls nötig, Privatrezepte, die sie in einer von vier Kontaktapotheken kostenfrei einlösen können. Zur Untersuchung gibt es in den Räumen unter anderem ein Ultraschallgerät und ein EKG. Um auch den oftmals gravierenden seelischen Auswirkungen von Armut Rechnung zu tragen, bietet die Einrichtung ebenso eine psychotherapeutische Behandlung an. Für Migranten und Asylanten, die in ihrer Zukunftsangst den Weg in die Praxis finden, organisiert das Haus Übersetzer.

Ein Gesundheitsnetzwerk für Bedürftige wie in Solingen sei deutschlandweit einzigartig, sagte Christoph Zenses. "Es geht darum, Menschen unabhängig von Versicherten- und Aufenthaltsstatus zu behandeln", fasste der Internist zusammen - und formulierte ein hohes Ziel: "Wir wollen uns selbst wieder abschaffen."

(ied)
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