Solinger Köpfe (1) Walter Scheel Aus Höhscheid in die Geschichtsbücher

Solingen · Die Klingenstadt hat viele berühmte Söhne und Töchter. Nicht wenige von ihnen gingen an der Schwertstraße zur Schule so wie der Solinger Carsten Lohausen (45). Er hat sie besucht oder ihnen geschrieben. Unsere Serie beginnt mit dem Ehrenbürger Walter Scheel.

Die Klingenstadt hat viele berühmte Söhne und Töchter. Nicht wenige von ihnen gingen an der Schwertstraße zur Schule so wie der Solinger Carsten Lohausen (45). Er hat sie besucht oder ihnen geschrieben. Unsere Serie beginnt mit dem Ehrenbürger Walter Scheel.

Der berühmteste Sohn der Stadt ist 94 Jahre alt. Als Außenminister (1969 bis 1974) und Bundespräsident (1974 bis 1979) prägte der letzte noch lebende Minister der Kabinette von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard die Geschichte der Bundesrepublik mit. Zu aktuellen politischen Fragen will sich der Ehrenbürger Solingens, der heute in Bad Krozingen lebt, in dem Gespräch mit Carsten Lohausen für die Morgenpost nicht äußern. So wurde es ein sehr persönliches Interview mit vielen lebendigen Erinnerungen auch an die Jugendzeit Scheels in seiner Geburtsstadt Solingen.

Wann und wo genau sind Sie geboren?

Scheel Am 8. Juli 1919 in Höhscheid.

Wo haben Sie in Höhscheid gewohnt?

Scheel Zuerst Messerstraße 3 und dann in der Neuenhofer Straße 39. Als junger Erwachsener habe ich mit meiner Frau zusammengewohnt, das war in der Neustraße.

Wie lange sind Sie in Solingen geblieben?

Scheel Ich habe bis Ende der 40er Jahre in Solingen gewohnt. Streng genommen, muss man wahrscheinlich die Kriegszeit abziehen.

Hatten Sie Geschwister?

Scheel Ja, ich hatte einen fünf Jahre älteren Bruder. Er hieß Paul und ist 1969 zu früh verstorben.

Was machten Ihre Eltern beruflich?

Scheel Mein Vater war gelernter Stellmacher, arbeitete aber schon früh nicht mehr in diesem Beruf, sondern in der Schreinerei und Pförtnerei von Friedrich Herder Abraham und Sohn. Meine Mutter hat Nähunterricht gegeben und mit anderen jungen Frauen eine kleine Nähstube betrieben.

Welche Schulen haben Sie besucht?

Scheel Ich habe Abitur am Reformrealgymnsasium Schwertstraße gemacht.

Haben sie ein Instrument gelernt?

Scheel Nein, aber wir haben immer sehr viel gesungen.

Was war Ihr Notenschnitt im Abitur?

Scheel Das weiß ich nicht mehr. Aber ich war im guten Durchschnitt.

Hatten Sie Ferienjobs?

Scheel Nein, aber ich musste meiner Mutter beim Haushalt helfen.

Sie gingen auch lieber zur Tanzstunde.

Scheel Das war damals ganz wichtig. Die Casino Gesellschaft hat das organisiert. Ich bin heute noch Mitglied. Nach den Tanzkursen war ich mit meiner späteren Frau liiert. Es gibt also nur gute Erinnerungen an die Tanz-Zeit.

Wie haben Sie Ihre erste Frau kennengelernt?

Scheel Das war wunderbar. Ich habe den gleichen Schulweg wie sie gehabt. Obgleich mein Weg der längere war. Irgendwann habe ich sie auf dem Schulweg angesprochen und ihr gesagt: "Eva ich muss Dir etwas sagen, was einmal sehr wichtig für Dich werden wird: Ich werde Dich heiraten!" Sie war damals 11 und ich 13. Nach der Tanzschule waren wir ein Paar und später bis zu Evas Tod fast 25 Jahre verheiratet.

Haben Sie als Kinder auch Touren in der Umgebung Solingens, etwa um die Sengbachtalsperre oder an die Müngstener Brücke gemacht?

Scheel Ich erinnere mich, wie wir als Schulklasse Ausflüge zur Müngstener Brücke und zu den Kotten an der Wupper gemacht haben.

Hatten Sie denn ein Fahrrad?

Scheel Nein.

Aber einen Fußball.

Scheel Nein. Recht ungewöhnlich war, dass ich Tennis gespielt habe.

Haben Sie später mal ein Fußball-WM-Finale live im Stadion erlebt?

Scheel Ja, natürlich! Ich habe doch 1974 sogar den Pokal unserer Mannschaft persönlich überreichen dürfen! Aber auch andere Finalspiele habe ich auf der Tribüne verfolgt, an die ich mich nicht so genau erinnere.

Was war der erste Kinofilm, den Sie gesehen haben?

Scheel Ich weiß den Film nicht mehr zu benennen. Aber es war noch lange nach meiner Kindheit ein großes Erlebnis ins Kino zu gehen.

Leben noch Spielkameraden aus Ihren Kindertagen?

Scheel Nein.

Wie oft waren Sie auf dem Zöppkesmarkt?

Scheel Ich war als Kind, wie alle Kinder, gerne auf dem Zöppkesmarkt. Auch regelmäßig.

Sie haben in Solingen eine Banklehre gemacht.

Scheel Ja, bei der Solinger Volksbank.

Gibt es für Sie ein Lebensmotto?

Scheel Nein.

Was war der schönste Tag für Sie in Solingen?

Scheel Ich muss dabei nicht wirklich an einen schönen Tag denken, sondern an einen meiner ersten Spaziergänge mit meinem ganz kleinen Sohn, nachdem der Krieg zu Ende war. Die ganze Stadt war zerstört. Kein Stein stand mehr auf dem anderen, und man konnte vom großen Platz unsere Schule an der Schwertstraße sehen. Es war sehr bewegend. Aber es hatte auch etwas Gutes: Der Krieg war vorbei. Ich hatte überlebt und nun konnte das Leben richtig losgehen.

Welche Geschichte über Walter Scheel sollte der Nachwelt unbedingt erhalten bleiben?

Scheel Das müssen Sie bitte andere fragen. Vermutlich kann man auch schon in einigen Geschichtsbüchern etwas über mich finden.

Über wen oder was lachen Sie am liebsten?

Scheel Über mich selbst und über meine Frau, wenn Sie Witze erzählt.

Was sammeln Sie?

Scheel Nichts.

Ich habe noch eine Ehrenurkunde der Bundesjugendspiele aus der Schulzeit im Keller. Sie waren damals Bundespräsident. Wissen Sie, wessen Namen darauf stehen?

Scheel Ihrer und meiner?

Welche ist die schönste Stadt der Welt?

Scheel Da bringen Sie mich in Schwierigkeiten. Ich bin in sechs Städten Ehrenbürger. Solingen gehört auch dazu.

Wer oder was kann Sie beeindrucken?

Scheel Mut, Ehrlichkeit und Weltoffenheit.

Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Scheel Das müssen auch andere beurteilen. Aber ich habe es geschafft, wenige Leute in meinem langen Leben zu verletzen. Ich habe und hatte keine Feinde.

Sie sind der berühmteste Solinger. Wer steht an zweiter Stelle?

Scheel Auch aus Höhscheid. Veronika Ferres.

Kennen Sie sie persönlich?

Scheel Ja, wir haben viele Dinge zusammen angestoßen und gemacht.

Was ist mit andern gebürtigen Solingern wie Jörg Schönenborn, Michael Lesch, Richard David Precht, Bodo Uebber , Timotheus Höttges oder Eckhard Krautzun?

Scheel Das sind natürlich alles sehr bekannte Menschen, aber ich kann nicht sagen, dass ich sie persönlich kenne.

Was war Ihr größter Erfolg?

Scheel Vermutlich die Durchsetzung der Ostverträge, die Gestaltungen der ersten sozialliberalen Koalition und wohl auch die Gründung des Entwicklungsministeriums.

Was ist Ihr Lieblingswort?

Scheel Freiheit.

Welches Wort hassen Sie?

Scheel Alle Schimpfwörter.

Welchen Beruf hätten Sie noch ausüben wollen?

Scheel Ich wäre gerne Journalist geworden.

Und welcher Beruf hätte ihnen gar nicht gefallen?

Scheel Den, den ich auch ausgeübt habe: Soldat im Zweiten Weltkrieg. Aber pflichtbewusst, wie ich immer war und bin, war das natürlich selbstverständlich, für das Vaterland in den Krieg zu ziehen.

In welchem Fach hätten Sie am Liebsten eine Meisterschaft erreicht: Fliegen, Kochen oder Fotografieren?

Scheel Fliegen.

Wenn der Himmel existiert, was möchten Sie dann von Gott hören, wenn Sie an die Pforten treten?

Scheel Das ist hoffentlich noch ein paar Tage hin. Dann werden wir sehen.

(RP)
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