Ansichtssache Das Ende der politischen Langeweile rückt immer näher

Solingen · Der Haushalt passierte den Rat recht unspektakulär. Zwar gab es Kritik. Aber die war wohl jeweils den politischen Rollen geschuldet. Allein: Das bleibt nicht so. Denn der Etat 2017 wird anders aussehen. Es wird Härten geben - ob die Politiker das wollen oder nicht.

Die abenteuerlichste Begründung für das eigene Abstimmungsverhalten in Sachen Haushalt 2016 kam bei der ansonsten eher lauen Ratssitzung am Donnerstag - zumindest, was die demokratischen Kräfte angeht - von Gerd Schlupp. Der Mann, der während seiner langen Karriere schon in so manchen Häfen eine politische Heimat fand und der zurzeit bei den Piraten vor Anker liegt, verteidigte sein Nein zum Etat mit der aktuellen Flüchtlingspolitik. Nur durch ein klares "Stoppsignal" sei es möglich, Bundeskanzlerin Merkel "zu bremsen", ließ Schlupp die anderen Ratspolitiker wissen - ohne zu verschweigen, dass er diese Einschätzung auch in der eigenen Partei ziemlich exklusiv hat.

Nun wird es wahrscheinlich auf ewig Gerd Schlupps Geheimnis bleiben, inwieweit ein nicht verabschiedeter Solinger Haushalt die Bundeskanzlerin beeindrucken könnte. Im Zweifelsfall wohl eher gar nicht. Gleichwohl sollte die große Ratsmehrheit aus CDU, SPD, Grünen, FDP und BFS, die den Haushalt schließlich verabschiedete, das Abstimmungsverhalten des Piraten nicht allein als politischen Irrläufer abtun. Denn so irreal die Argumentation auch sein mag, eines muss man Gerd Schlupp lassen: Er verfügte stets über ein gutes Gespür für die Befindlichkeiten in den Teilen der Gesellschaft, die sich von der Politik nicht mehr ernstgenommen fühlen.

Diese Gefühlslage bei manchen rührt auch daher, dass viele Menschen den Eindruck haben, die "politische Klasse" entscheide über ihre Köpfe hinweg, stelle Parteiwohl über Allgemeinwohl - und unterscheide sich höchstens noch in Nuancen. Wobei die Solinger Politik in den kommenden Monaten die Chance hat, das Gegenteil zu beweisen.

Nach dem Haushalt ist nämlich vor dem Haushalt. Bereits in Kürze werden die Diskussionen - abseits der Flüchtlingskrise - wieder beginnen, wie 2018 ein ausgeglichener Etat zu schaffen sein wird. Und wenn man auch nicht der Meinung von CDU-Fraktionschef Carsten Voigt sein muss, der den jetzt verabschiedeten Haushalt als "Wünsch-dir-was-Papier" bezeichnete, ist eines doch ebenfalls klar: Ein ähnliches Zahlenwerk wird 2017 nicht mehr reichen, um aus der Klemme zu kommen.

Beispiel Flüchtlingskrise: Kein Mensch kann sagen, wie viele Flüchtlinge in Zukunft nach Solingen kommen. Und was noch problematischer ist: Wie die damit einhergehenden Herausforderungen geschultert werden sollen, weiß auch niemand. Dies bedeutet, dass die Solinger Politik Farbe bekennen muss. SPD und Grüne inklusive Oberbürgermeister Tim Kurzbach haben Rot-Grün in Düsseldorf genauso in die Pflicht zu nehmen wie die CDU "ihren" Bundestagsabgeordneten Jürgen Hardt. Das Land muss die Bundesmittel endlich 1:1 an die Kommunen weitergeben. Und der Bund hat gefälligst ein Gesamtkonzept zur Flüchtlingspolitik zu präsentieren. Nur dann besteht nämlich die Chance (nicht die Garantie), dass es mit der Integration in Solingen irgendwann mal etwas wird.

Und nur so wird man überdies den Bürgern in der Klingenstadt die noch kommenden Einschnitte verkaufen können. Denn machen wir uns nichts vor: Ohne hartes Sparen und Belastungen bleibt die Haushaltssanierung bei gleichzeitigen Investitionen in Schulen, Kitas und Straßen reine Illusion.

Tabus wird es bei den neuen Sparrunden also nicht geben. Erhöhungen der Parkgebühren, Zuschusskürzungen für Vereine und Organisationen sowie manches mehr - in Zukunft sind viele Grausamkeiten denkbar. Zumal mit der anstehenden Sanierung der Beteiligungsgesellschaft eine weitere Mammutaufgabe auf die Stadt wartet und die CDU mit ihrer Forderung nach mehr Geld für die öffentliche Sicherheit noch ein weiteres Thema nachschob. Keine Frage, das Ende der politischen Langeweile ist gekommen - auch ganz ohne Gerd Schlupps abenteuerliche Argumentation.

(RP)
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